Der Anspruch eines Ausländers auf Einbürgerung setzt ausnahmsweise dann keine ausreichenden Deutschkenntnisse voraus, wenn der Ausländer wegen Krankheit im Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbürgerung nicht mehr in der Lage ist, diese Kenntnisse zu erwerben.

Ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse der deutschen Sprache in der Vergangenheit hat aneignen können, ist nicht entscheidend. Mit dieser Begründung hat die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts den Anspruch einer türkischen Staatsangehörigen (Klägerin) auf Einbürgerungszusicherung bejaht und die Stadt Heilbronn (Beklagte) zur Erteilung dieser Zusicherung verpflichtet.

Der Sachverhalt

Die 1949 geborene Klägerin ist Hausfrau und lebt seit 1991 mit ihrem Ehemann und den sechs gemeinsamen Kindern, die mittlerweile deutsche Staatsangehörige sind, im Bundesgebiet. Sie ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Klägerin ist Analphabetin und spricht die deutsche Sprache nicht. Im Juni 2009 erlitt sie einen Schlaganfall, ist seither schwerbehindert und leidet unter komplexen kognitiven Störungen.

Die Klägerin hatte im März 2010 bei der Beklagten die Einbürgerung beantragt. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.04.2011 ab, da nicht ersichtlich sei, dass sich die Klägerin in den Jahren vor ihrer Erkrankung hinreichend bemüht habe, die deutsche Sprache zu erlernen.

Die Entscheidung

Dem ist das Verwaltungsgericht nicht gefolgt. Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin - abgesehen vom Erfordernis der Aufgabe ihrer türkischen Staatsangehörigkeit - einen Einbürgerungsanspruch.

Amtliche Leitsätze

1. Der Einbürgerungsbewerber hat den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht zu vertreten, wenn er keine zumutbare Beschäftigung findet, weil er objektiv vermittlungshemmende Merkmale wie fehlende Qualifikation i.V.m. Analphabetismus aufweist.

2. § 10 Abs. 6 StAG findet auch dann Anwendung, wenn der Einbürgerungsbewerber sich bereits seit vielen Jahren/Jahrzehnten in Deutschland aufhält und er sich in früherer Zeit die von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 StAG geforderten Kenntnisse hätte aneignen können.

Maßgebend ist allein, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbürgerung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 StAG nicht mehr erfüllen kann.

Aus den Entscheidungsgründen


Die Klägerin sei wegen ihrer Krankheit nicht mehr in der Lage, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland zu erwerben. Dabei komme es allein darauf an, ob der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über seine Einbürgerung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt diese Kenntnisse nicht mehr erwerben könne.

Deutschkenntnisse hätte man sich auch früher aneignen können

Die maßgebende Vorschrift des Staatsangehörigkeitsgesetzes (§ 10 Absatz 6 StAG) stelle nicht darauf ab, ob sich ein Einbürgerungsbewerber die entsprechenden Kenntnisse in der Vergangenheit habe aneignen können. Vom Erfordernis der ausreichenden Sprachkenntnisse sei deshalb auch dann ausnahmsweise im Krankheitsfall abzusehen, wenn sich der Einbürgerungsbewerber bereits seit vielen Jahren oder Jahrzehnten in Deutschland aufhalte und er sich in früherer Zeit die geforderten Kenntnisse hätte aneignen können.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu stellen.

Gericht:
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 2.12.2011 - 11 K 839/11

PM des VG Stuttgart
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