Das Landgericht Itzehoe hat die Klage gegen ein Kaufhaus auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nach einem Sturz von einer Rutsche in der Kinderabteilung des Kaufhauses abgewiesen.

Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:


Am 12. Juli 2008 befand sich der damals ca. 1 Jahr und 8 Monate alte Kläger gemeinsam mit seiner Mutter und einer Freundin der Mutter in der Kinderabteilung eines Kaufhauses. Während der Kläger und die Freundin der Mutter zunächst an einem Spieletisch saßen, sah die Mutter nach Kinderbekleidung. Nach einer Weile ging der Kläger zu der in der Abteilung aufgestellten 2 m hohen Kinderrutsche. Der Boden unter der Leiter dieser Rutsche ist nicht gepolstert, sondern nur der Bereich des Auslaufs der Rutsche.

Der weitere Hergang der Ereignisse ist zwischen den Parteien streitig.


Der Kläger behauptet, er sei die Leiter zu etwa 2/3 hinauf geklettert und dann rückwärts hinunter auf den Kopf gefallen, wodurch er sich einen Schädelbasisbruch zugezogen habe. Obwohl seine Mutter nur 2 – 3 Schritte entfernt gestanden habe, habe sie ihn nicht auffangen können. Als sie auf dem Weg zur Toilette Blut aus seinem rechten Ohr habe austreten sehen, sei sie in Panik geraten und ohne Rücksprache mit den Angestellten des Kaufhauses ins Krankenhaus gefahren. der Kläger meint, die Betreiberin des Kaufhauses habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil sie nicht für eine ausreichende Polsterung des Bereichs unterhalb der Leiter gesorgt habe.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei nicht gestürzt, weil keine der ständig anwesenden 3 Verkäuferinnen den Sturz wahrgenommen habe. Sie meint, sie habe ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt, denn die Rutsche sei als TÜV-geprüftes Spielgerät angeschafft worden und weise keine Mängel auf. Vielmehr habe die Mutter des Klägers ihre Aufsichtspflicht gröblich vernachlässigt, indem sie 15 m von der Leiter entfernt nach Kinderbekleidung Ausschau gehalten habe, während ihre Freundin mit dem Rücken zur Rutsche gesessen habe. Das Verschulden der Mutter schließe jede Haftung der Beklagten aus.

In der Urteilsbegründung führt der Vorsitzende der 4. Zivilkammer aus:

Die Klage ist nicht begründet. Nach der Beweisaufnahme steht zwar fest, dass der Kläger von der Rutsche gestürzt ist und sich dadurch einen Schädelbasisbruch zuzog. Jedoch muss die Beklagte für die Folgen nicht einstehen, weil der Unfall nicht auf einer Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht beruht, sondern auf einer gröblichen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht der Mutter des Klägers.

Ein Anspruch auf Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld setzt voraus, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Daran fehlt es hier. Grundsätzlich muss derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft (wie hier die Beklagte die Kinderrutsche), alle notwendigen und ihm zumutbaren Maßnahmen treffen, die ein verständiger und in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht wird nicht nur durch die Intensität der Gefahr bestimmt, sondern auch nach den Sicherungserwartungen des Verkehrs. Wie jeder weiß, bedürfen Kleinkinder ständiger Aufsicht, damit sie sich nicht Gefahren aus ihrer Umgebung aussetzen, die sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit nicht erkennen und beherrschen können. Für die Abwehr von Gefahren für Kleinkinder ist zuallererst der Aufsichtspflichtige verantwortlich, weil ein umfassender Schutz von Kleinkindern nur durch ihre Beaufsichtigung gewährleistet ist. Das Vertrauen, das ein Verkehrssicherungspflichtiger in die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch die Eltern setzen kann, wirkt zurück auf den Umfang seiner Sicherungspflichten. Die Möglichkeit eines Aufsichtsversagens der Eltern oder anderer mit der Beaufsichtigung betrauter Personen, legt dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht schon die Pflicht auf, den Gefahren auch aus derartigen Aufsichtsversäumnissen zu begegnen. Vorsorge gegen die fehlende Selbstsicherungsfähigkeit von bis zu Dreijährigen musste die Beklagte beim Aufstellen der Rutsche daher nicht treffen. Nicht die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten seitens der Beklagten ist für den Sturz des Klägers von der Rutsche und dessen Folgen verantwortlich; das Unfallereignis beruht vielmehr allein darauf, dass die Mutter des Klägers die ihr obliegende Aufsichtspflicht und damit die Verpflichtung, ihr Kind vor Schäden zu bewahren, gröblich vernachlässigt hat. Sie hätte erkennen und damit rechnen müssen, dass der Kläger wegen seines geringen Alters von der Rutsche stürzen konnte, zumal sie in ihrer persönlichen Anhörung angegeben hat, sie habe gesehen, wie ihr Kind begonnen habe, die Leiter hinaufzuklettern und nach der Beweisaufnahme feststeht, dass sie sich etwa 10 bis 15 Meter von der Rutsche entfernt befand. Hinzu kommt, dass sich die Mutter des Klägers in Begleitung einer durch andere Aufgaben nicht in Anspruch genommenen Freundin befand und lediglich ein einzelnes Kind – den Kläger - zu beaufsichtigen hatte und damit ihre Aufsichtspflicht auch ohne weiteres durch eine konkrete Absprache mit ihrer Freundin hätte erfüllen können, während eine Mutter, die allein auf sich gestellt mit mehreren kleinen Kindern zum Einkaufen geht, sich naturgemäß nicht in gleicher Weise um jeden ihrer Sprösslinge kümmern kann. Dieses Aufsichtsversagen der Mutter des Klägers hatte die Beklagte nicht in Rechnung zu stellen, so dass sie hierfür (im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht) auch nicht einzustehen hat.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Gegen dieses Urteil des Landgerichts Itzehoe kann der Kläger innerhalb eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in Schleswig einlegen.

Quelle Landgericht Itzehoe
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