Bei gewöhnlichen Auffahrunfällen spreche regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende mit einem zu geringen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug gefahren ist. Dieser Beweis des ersten Anscheins ist bei Kettenauffahrunfällen nicht anzuwenden.

Das OLG Hamm hat durch Urteil (Az. 6 U 101/13) entschieden, dass der durch das Auffahren des hinteren Fahrzeugs beim Vordermann verursachte Schaden bei einem Kettenauffahrunfall hälftig zu teilen sein kann, wenn der Ablauf der Zusammenstöße der beteiligten Fahrzeuge nicht mehr aufzuklären ist.

Der Sachverhalt

Der Kläger mit seinem Fahrzeug A und die Beklagte mit ihrem Fahrzeug B, waren an einem Kettenauffahrunfall beteiligt. Dabei prallte die Beklagte mit ihrem Fahrzeug B als letzte der an dem Unfall insgesamt beteiligten vier Fahrzeuge auf das vor ihr fahrende Fahrzeug A des Klägers.

Fahrzeug A erlitt durch das Auffahren der Beklagten einen Heckschaden, jedoch durch die Kollision mit dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug auch einen Frontschaden. Im Prozess konnte nicht aufgeklärt werden, ob der Kläger unter Verkürzung des Bremsweges für die ihr folgende Beklagte zuerst auf das ihr vorausfahrende Fahrzeug aufgefahren war oder ob die Beklagte das klägerische Fahrzeug A erst durch ihr Auffahren auf das vor dem klägerischen Pkw befindliche Fahrzeug aufgeschoben hatte.

Mit der Begründung, ein Beweis des ersten Anscheins spreche für die Unaufmerksamkeit der auffahrenden Beklagten hat der Kläger von ihr 100%igen Ersatz des an seinen Wagen entstandenen Heckschadens von ca. 5.300 Euro verlangt.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Az. 6 U 101/13)

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat dem Kläger 50%igen Schadensersatz zugesprochen. Im vorliegenden Fall könne sich der Kläger, so der Senat, nicht auf einen Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der auffahrenden Beklagten berufen.

Dass ein Verschulden der Beklagten die Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges erhöht habe, stehe nicht fest. Er sei nicht bewiesen und ergebe sich nicht aus einem Beweis des ersten Anscheins. Zwar spreche bei gewöhnlichen Auffahrunfällen regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende mit einem zu geringen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug gefahren sei oder zu spät reagiert habe.

Beweis des ersten Anscheins nicht bei Kettenauffahrunfällen

Dieser Beweis des ersten Anscheins sei bei Kettenauffahrunfällen wie dem vorliegenden aber nicht anzuwenden. Der von dem Beweis des ersten Anscheins vorausgesetzte typische Geschehensablauf liege nicht vor, wenn nicht feststehe, ob das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen sei. In diesem Fall bestehe die Möglichkeit, dass der Vorausfahrende für den auffahrenden Verkehrsteilnehmer unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhalteweges "ruckartig" zum Stehen gekommen sei, in dem er seinerseits auf seinen Vordermann aufgefahren sei.

Da auch ein des Klägers nicht feststehe, sei es gerechtfertigt, die Betriebsgefahr der Fahrzeuge der beiden Parteien gleich hoch zu bewerten und eine Haftungsteilung zu gleichen Teilen vorzunehmen.

Themenindex:
Auffahrunfall, Kettenauffahrunfall, Anscheinsbeweis

Gericht:
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 06.02.2014 - 6 U 101/13

OLG Hamm, PM
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