Der Sachverhalt
Nach einer Mitteilung der Deutschen Anwaltshotline, lebt eine 42-jährige ledige Frau mit Tochter und Sohn in einem ihr gehörenden Einfamilienhaus. Dort wohnen auch noch ihre Mutter, ihr Vater und ihre Schwester. Jeder von ihnen bezieht Sozialleistungen, wobei weder von einer Bedarfs- noch einer Haushaltsgemeinschaft ausgegangen wird.
Das Jobcenter verweigerte der Alleinerziehenden einen über den Regelsatz hinausgehenden Leistungsmehrbedarf. Der sei vom Gesetzgeber seinerzeit zwar vorgesehen worden, weil einem alleinerziehenden Elternteil erfahrungsgemäß - so die Beispiele im Sozialgesetzbuch - etwa weniger Zeit zum preisbewussten Einkauf zur Verfügung stehe und wegen des fehlenden Ehe- und Gesprächspartners höhere Aufwendungen bei der für Erziehungsfragen wichtigen Kontaktpflege anfallen.
Doch solche Preisvergleiche seien jetzt im Computerzeitalter sekundenschnell per Mausklick möglich, Lebensmitteldiscounter heutzutage von fast jedem Haushalt gut erreichbar und auch die "Befriedigung von Informations- und Kontaktbedürfnissen" - so das Gesetz - bei der inzwischen nahezu flächendeckenden Verbreitung von Flatrates für Telefon und Internetzugang regelmäßig nicht mehr mit Mehrkosten verbunden.
Das Urteil des Bundessozialgerichts
Aus dem Urteil: [...] Die Beantwortung der komplexen Fragestellung, ob wegen eines Wandels der tatsächlichen Lebensumstände die vom Gesetzgeber bei Einfügung der Regelung in das BSHG typisierend und beispielhaft angenommenen Bedarfslagen bei Alleinerziehenden tatsächlich nicht (mehr) bzw nicht mehr in der pauschalierend angenommenen Höhe existieren, obliegt dem Gesetzgeber. Wollte dieser den Mehrbedarf für Alleinerziehende anders fassen, ist zu beachten, dass sich Pauschalen, die an die Stelle eines ganz oder teilweise zu berücksichtigenden konkreten Aufwandes treten, nicht an einem hier vorliegenden atypischen Fall orientieren dürfen und "realitätsgerecht" so bemessen sein müssen, dass die typisierenden Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken (BVerfGE 112, 268, 281 zur Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten alleinstehender Erwerbstätiger; BVerfGE 120, 125 ff, 166) [...]
Für den Mehrbedarfsanspruch im Zusammenhang mit einer alleinigen Sorge für die Kinder ist laut geltendem Sozialgesetzbuch nur ausschlaggebend, ob eine andere Person in erheblichem Umfang bei der Pflege und Erziehung mitwirkt. Das ist hier nicht der Fall. Dem sei auch nicht entgegenzuhalten, die Frau hätte wegen der Wohnverhältnisse im Bedarfsfall ja ab und an auf die Unterstützung ihrer Eltern oder ihrer Schwester zugreifen können.
[...] Nach seinem Sinn und Zweck geht § 21 Abs 3 SGB II typisierend von einem regelmäßigen Mehrbedarf bei Alleinerziehenden aus, weshalb - nach den tatsächlichen Verhältnissen - nur eine regelmäßige und erhebliche Unterstützung bei der Pflege und Erziehung der Kinder durch weitere Personen einem Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende entgegenstehen kann (so auch Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 29). Allein die (potentielle) Möglichkeit des Rückgriffs auf andere Personen oder Einrichtungen führt nicht zum Anspruchsausschluss [...]
Themenindex:
Hartz IV, ALG II, SGB II
Gericht:
Bundessozialgericht, Urteil vom 23.08.2012 - B 4 AS 167/11 R
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