Ein Taxifahrer überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 64 km/h, weil er befürchtete, sein betrunkener Fahrgast werde sich Erbrechen. Er wurde geblitzt und erhielt einen Bußgeldbescheid über 440 Euro und zwei Monate Fahrverbot. Dagegen wendet sich der Taxifahrer, es sei ein Notfall gewesen.

Der Sachverhalt

Im konkreten Fall war der Fahrer in einer Lärmschutzzone auf der Autobahn 64 km/h zu schnell gefahren. Er erhielt daraufhin einen Bußgeldbescheid über 440 Euro und zwei Monate Fahrverbot. Weil er das nicht hinnehmen wollte, legte er Einspruch ein.

Sein Argument: Sein damaliger Fahrgast sei betrunken gewesen und er habe eine Verunreinigung seines Taxis durch Erbrochenes verhindern wollen. Deshalb habe er möglichst schnell die nächste Ausfahrt erreichen wollen. Das zunächst zuständige Amtsgericht hatte Verständnis und gab dem Einspruch wegen eines rechtfertigenden Notstands statt.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg

Das OLG Bamberg sah die Sache laut ARAG Experten allerdings anders: Es sei schon nicht klar, ob schnelles Fahren überhaupt hätte verhindern können, dass sich der Fahrgast übergibt.

Aus dem Beschluss

[...] Im angefochtenen Urteil fehlt es bereits an einer nachvollziehbaren Darlegung, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überhaupt geeignet war, das vom Betroffenen verfolgte Ziel, nämlich die Verhinderung, dass der weibliche Fahrgast sich im Fahrzeug übergebe und deshalb das Wageninnere verunreinige, zu erreichen. Es entspricht gefestigter Ansicht in Judikatur und Schrifttum, dass das ausgewählte Abwehrmittel geeignet sein muss, die Gefahr zu beseitigen (vgl. KK OWiG-Rengier 3. Aufl. § 16 Rn. 17 m.w.N.). Insbesondere dann, wenn durch die Geschwindigkeitsüberschreitung kein wesentlicher Zeitgewinn zu erwarten war, kann der Rechtfertigungsgrund des § 16 OWiG nicht eingreifen (Rengier a.a.O.; BayObLGSt 1990, 105; KG, Beschluss vom 26.10.1998 - 2 Ss 263/98 [„unabweisbarer Stuhldrang“], jeweils m.w.N.). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil aber nicht.

Es teilt insbesondere nicht mit, wieweit das Taxi von der nächsten Ausfahrt oder einem Parkplatz entfernt war. Deshalb kann nicht nachvollzogen werden, ob der Betroffene - bei der gebotenen ex-ante-Sicht (Rengier a.a.O.) – berechtigter Weise annehmen durfte, er könnte durch schnelles Fahren die bevorstehende Verunreinigung seines Fahrzeugs durch Erbrochenes verhindern. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Übergeben um einen Reflex handelt, der sich einer willentlichen Beeinflussung durch die betroffene Person entzieht, und deshalb eine Verzögerung letztlich nicht möglich ist. [...]

Anhalten auf dem Seitenstreifen oder Brechtüten

Ungeachtet dieser Erwägungen sind die Urteilsgründe aber auch deshalb lückenhaft, weil sich ihnen nicht entnehmen lässt, inwiefern - abgesehen von einem Anhalten auf dem Seitenstreifen – andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um die Gefahr der Verunreinigung des Taxis abzuwehren. Es liegt in jeder Hinsicht nahe, dass in Taxis so genannte Brechtüten, wie dies in Flugzeugen üblich ist, mitgeführt werden.

Interessenabwägung

Jedenfalls müsse aber im Rahmen der notwendigen Interessenabwägung das Interesse des Taxifahrers an einem sauberen Taxi hinter dem Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der Verkehrsregeln und dem Interesse der Anwohner an einem ruhigen Nachtschlaf zurücktreten

Zusammengefasst

Die durch ein Übergeben eines betrunkenes Fahrgastes befürchtete Verunreinigung des Wageninnenraums eines Taxis vermag eine zur schnelleren Erreichung der nächstgelegenen Autobahnausfahrt begangene Geschwindigkeitsüberschreitung regelmäßig schon mangels Geeignetheit des zur Gefahrenabwehr eingesetzten Mittels nicht nach § 16 OWiG zu rechtfertigen (amtl. Leitsatz).

Gericht:
Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 04.09.2013 - 3 Ss OWi 1130/13

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