Die Kündigung einer schwangeren Frau ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde kann eine verbotene Benachteiligung wegen des Geschlechts (§ 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG) darstellen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Geldentschädigung verpflichten.

Der Sachverhalt

Die Klägerin trat im April 2014 unter Vereinbarung einer sechsmonatigen Probezeit als "Rechtsanwaltsfachangestellte"in die Dienste des Beklagten, der eine Anwaltskanzlei betreibt. Der beklagte Rechtsanwalt kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin während der Probezeit, obwohl er Kenntnis von deren Schwangerschaft hatte.

Diese Kündigung hatte das Arbeitsgericht in einem vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren nach § 9 Mutterschutzgesetz – MuSchG – für unwirksam erklärt, weil die Klägerin ihrem Arbeitgeber gleich nach der Kündigung unter Vorlage des Mutterpasses mitgeteilt hatte, dass sie schwanger sei und der Arbeitgeber keine Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde zur Kündigung eingeholt hatte.

Einige Monate später kündigte der Beklagte ein weiteres Mal ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde. Durch die erneute Kündigung wurde die Klägerin nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Mit dem Urteil bestätigte das Landesarbeitsgerichts die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin.

Die Entscheidung

Der Einwand des Arbeitgebers, er habe angenommen, die Schwangerschaft sei bereits beendet, hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil, Az. 23 Sa 1045/15) für unberechtigt gehalten. Für die Plausibilität einer solchen Annahme habe der Arbeitgeber keinerlei Anhaltspunkte geliefert. Seine Einlassung bedeute im Klartext nichts anderes, als dass er angesichts seiner Vorkenntnisse aus Vorprozess und "Mutterpass" der Klägerin mit der Fortdauer der Schwangerschaft habe rechnen müssen, sich dieser Einsicht indessen rundheraus verschlossen hat.

Statt die Klägerin in solcher Lage kurzerhand neuerlich ohne Wahrung des Konsultationsgebots des des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG im Alleingang den Belastungen einer Kündigungsprozedur auszusetzen, hätte es ihm zur Vermeidung besagter indizieller Wirkung oblegen, etwaige Zweifel an der Fortdauer ihrer Schwangerschaft notfalls über deren Bevollmächtigten durch einfache Rückfrage auszuräumen. Ein Arbeitgeber, der die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Kündigungsverbotes erkennt und gleichwohl eine Kündigung ausspricht oder die Kündigung aus genau dieser Überlegung wiederholt, wolle "erst recht" wegen des Geschlechts der Arbeitnehmerin benachteiligen. Auch sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, den Arbeitgeber stets von dem Fortbestand der Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen. Eine Geldentschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ist gegeben.

Gericht:
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.09.2015 - 23 Sa 1045/15

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