Wer mit seinem Pkw mit 200 km/h fährt, setzt den Spielraum zur Vermeidung eines Unfalls nahezu auf Null, so das Urteil des OLG Koblenz. Auf Verkehrssituationen kann meist nicht rechtzeitig reagiert werden. Dies führt zu einer Mithaftung, auch bei schwerwiegenden Fehlern des Unfallgegners.

Der Sachverhalt

Der Kläger hat Ansprüche wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs anlässlich eines Unfalls geltend gemacht, der sich im auf der Autobahn A 60 ereignet hat. Nach den Feststellungen des in erster Instanz zuständigen Landgerichts Mainz, von denen auch der Senat ausgeht, wechselte das Fahrzeug des Klägers - von seinem Sohn gesteuert - beim Auffahren grob verkehrswidrig unmittelbar von der Einfädelspur auf die Überholspur, um einen vorausfahrenden Pkw zu überholen. Hierbei kam es zur Kollision mit dem Pkw des Beklagten, der mit ca. 200 km/h die Überholspur befuhr. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung existiert im befahrenen Teilabschnitt der Autobahn nicht.

Die Entscheidung

Nach Klageabweisung in erster Instanz hat das Oberlandesgericht Koblenz auf die Berufung des Klägers nunmehr den geltend gemachten Schadenersatz von 40 % des Schadens, insgesamt 3.446,62 € zuerkannt. Wer auf deutschen Autobahnen mit seinem Pkw - insbesondere bei Dunkelheit - die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h mit 200 km/h um rund 60 % und damit massiv überschreitet, führt zu Gunsten seines eigenen schnellen Fortkommens den Spielraum zur Vermeidung eines Unfalls nahezu gegen Null zurück. Eine solche Geschwindigkeit ermöglicht es in der Regel nicht mehr, Unwägbarkeiten in der Entwicklung von Verkehrssituationen rechtzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen. Auch bei einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß des Unfallgegners führt dies zu einer Mithaftung, im vorliegenden Fall in Höhe einer Quote von 40 % der Schadenssumme. Die von der hohen Geschwindigkeit des Beklagten - im Bereich von 200 km/h - ausgehende Gefahr habe sich im vorliegenden Fall in geradezu klassischer Weise verwirklicht. Bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h hätte der Unfall bereits durch eine mittelstarke Bremsung vermieden werden können. Den Beklagten treffe daher bei Abwägung der Verursachungsbeiträge trotz des Fehlverhaltens des Klägers eine erhebliche Mithaftung für das Unfallgeschehen.

Aus dem Urteil: [...] Im Rahmen der somit gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge waren daher einerseits das erhebliche Verschulden des Sohnes des Klägers und andererseits die von dem Pkw des Beklagten zu 1. ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen. Anders als das Landgericht kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Haftung des Beklagten zu 1. aus der Betriebsgefahr nicht vollständig hinter dem Verschulden des Sohnes des Klägers zurücktritt. Vielmehr war im vorliegenden Fall von einer deutlich erhöhten Betriebsgefahr auszugehen. Dies resultiert daraus, dass der Beklagte zu 1. die Richtgeschwindigkeit um rund 60 % überschritten hat und dadurch ein erhebliches Gefahrenpotential geschaffen hat. Die Richtgeschwindigkeit ist nämlich gerade dafür empfohlen worden, um Gefahren herabzusetzen, die auf den Betrieb eines Kraftfahrzeugs mit hoher Geschwindigkeit erfahrungsgemäß herrühren. Wer hingegen, zumal wie vorliegend bei Dunkelheit, die Richtgeschwindigkeit in massiver Art und Weise ignoriert, führt zu Gunsten seines eigenen schnellen Fortkommens den gegebenen Unfallvermeidungsspielraum nahezu gegen Null zurück. Eine Geschwindigkeit im Bereich von 200 km/h ermöglicht es in der Regel nicht mehr, Unwägbarkeiten in der Entwicklung einer regelmäßig durch das Handeln mehrerer Verkehrsteilnehmer geprägten Verkehrssituation rechtzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen. Diese Gefahr hat sich nach der Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall in geradezu klassischer Weise verwirklicht. Unter Beachtung der obigen Ausführungen geht der Senat im Ergebnis von einer Mithaftung des Beklagten zu 1. in Höhe von 40 % aus. Der Senat hat sich hierbei an einer Vielzahl von Entscheidungen orientiert, die in vergleichbaren Fällen zu vergleichbaren Haftungsverteilungen gelangt sind (siehe hierzu Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, S. 148 ff.). [...]

Gericht:
Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 14.10.2013 - 12 U 313/13

OLG Koblenz
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