Wer unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges vor der Polizei flüchtet, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen.

Der Sachverhalt

Nach einer Mitteilung der Deutschen Anwaltshotline (www.anwaltshotline.de), wollte sich der betroffene Fahrer eines VW Golf im baden-württembergischen Offenburg einer Verkehrskontrolle entziehen. Dabei verletzte er rücksichtslos eine Polizeibeamtin, deren Kollegen umgehend die Verfolgung aufnahmen. Der Mann versuchte über die Autobahn zu entkommen, wechselte beständig die Fahrstreifen und benutzte immer wieder auch den Standstreifen.

Um die Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer zu beenden, entschied sich die Einsatzleitung, den gesamten Verkehrsfluss zu verlangsamen, indem sie auf den beiden Fahrbahnen zwei Dienst-Pkw und auf dem Strandstreifen in gleicher Höhe einen massiven Sattelzug mit geringer Geschwindigkeit nebeneinander fahren ließ.

Der heranrasende Flüchtling war gezwungen abzubremsen und versuchte noch, durch die blockierenden Autos hindurchzukommen, wurde dabei aber von einem Blaulichtwagen von hinten gerammt und von einem weiteren Polizeifahrzeug an die Mittelplanke abgedrängt, wo die Flucht schließlich zu Ende war.

Den an den vier Polizeifahrzeugen entstandenen Schaden und weitere Kosten in Höhe von insgesamt 17.271,84 Euro wollte das Land Hessen nunmehr vom Haftpflichtversicherer des Delinquenten ersetzt haben. Und das zu Recht, wie der BGH entschied.

Die Entscheidung

Folgende Leitsätze ergehen aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs:

  • Der Halter eines Kraftfahrzeuges, der sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung seines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns sowohl nach § 823 Abs. 1 BGB als auch nach § 7 StVG für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck stehen.
  • Dies gilt auch in Fällen, in denen der Fahrer eines Polizeifahrzeuges zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorsätzlich eine Kollision mit dem fliehenden Fahrzeug herbeiführt, um es zum Anhalten zu zwingen.
  • Der Anspruch auf Ersatz des dabei an den beteiligten Polizeifahrzeugen entstandenen Sachschadens kann nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG auch als Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Fluchtfahrzeuges geltend gemacht werden.

"Der Schadensersatzanspruch des klagenden Landes wegen der demolierten Polizeifahrzeuge kann nicht deshalb verneint werden, weil die Beamten die entstandenen Schäden selbst verursacht haben, indem sie das Fluchtfahrzeug vorsätzlich rammten, um die Verfolgungsjagd zu beenden", erklärt Rechtsanwältin Alexandra Wimmer von der Deutschen Anwaltshotline den Karlsruher Richterspruch. Der Mann habe seine Verfolger zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert.  

Da von seinem rücksichtslosen Verhalten eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die Entscheidung der Polizeiführung, die Flucht durch eine gezielte Kollision mit dem Fluchtfahrzeug zu beenden, nicht außer Verhältnis zu dem dann auch erreichten Zweck, ihn gewaltsam zu stoppen und mit seiner Festnahme außer Verkehr zu ziehen.

Themenindex:
Haftung, Haftpflichtversicherung

Rechtsgrundlagen:
BGB § 823 Abs. 1 Hc
StVG § 7
VVG § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Gericht:
Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.01.2012 - VI ZR 43/11

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