Ein Fußballfan trug eine Hose, die im Gesäßbereich großflächig mit dem Schriftzug "ACAB" bedruckt war. Andere Fans hielten im Stadion einzelne Buchstaben hoch, welche "ACAB" ergaben. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre Verurteilungen und rügen die Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

Der Sachverhalt

Nach einem Urteil des OLG Karlsruhe (Az. 1 (8) Ss 64/12- AK 40/12 ) kann die Verwendung eines Transparents mit der Aufschrift "A.C.A.B.", eine Abkürzung für die Worte "all cops are bastards", bei einem Fußballspiel grundsätzlich als Beleidigung bestraft werden. In dem anderen Verfahren hat das OLG München (Urteil, Az. 4 OLG 13 Ss 571/13) entschieden, dass der Schriftzug "ACAB" auf einer Hose den Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB erfüllt, wenn er gegenüber einem zahlenmäßig überschaubaren und gegenüber der Gesamtgruppe klar umgrenzbaren Kreis von zum Kollektiv gehörenden Personen (hier Polizei) gezeigt wird.

Die Entscheidung des BVerfG

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Kundgabe der Buchstabenkombination "ACAB" im öffentlichen Raum ist vor dem Hintergrund der Freiheit der Meinungsäußerung nicht ohne weiteres strafbar.

1. Die Parole "ACAB" ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltlos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die strafrechtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführer greifen in dieses Grundrecht ein.

2. Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Die angegriffenen Entscheidungen sind vorliegend jedoch nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung vereinbar. Sie tragen die Annahme einer hinreichenden Individualisierung des negativen Werturteils nicht.

a) Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter bestimmten Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet.

b) Diesen Vorgaben werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Es fehlt an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung tragen könnten, dass sich die Äußerungen jeweils auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe beziehen. Nach den dargelegten Maßstäben reicht es nicht aus, dass die Polizeikräfte, die die Parole "ACAB" wahrnehmen, eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten bilden. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Adressierung dieser Parole, für die hier nichts ersichtlich ist. Das Wissen der Beschwerdeführer, dass Polizei im Stadion ist und die Parole wahrnehmen würde, reicht hierfür nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht.

aa) Im Verfahren 1 BvR 257/14 fehlen insbesondere Feststellungen dazu, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte der Polizei begeben hat, um diese mit seiner Parole zu konfrontieren.

bb) Im Verfahren 1 BvR 2150/14 setzen sich die Fachgerichte darüber hinaus nicht sachhaltig damit auseinander, dass unmittelbar vor der Verwendung des Akronyms "ACAB" Kritik an den Beweis- und Festnahmeeinheiten "(BFE)" sowie an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts "Stuttgart 21" geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden war. Insoweit kann die strafgerichtliche Entscheidung nicht darauf gestützt werden, dass es sich bei der Aktion des Beschwerdeführers um eine unzulässige Schmähung gehandelt habe. Zum einen setzt auch die Annahme einer Schmähung eine personalisierte Zuordnung der Äußerungen voraus. Zum anderen ist der Begriff der Schmähung, der keine Abwägung mehr mit der Meinungsfreiheit verlangt, von Verfassungs wegen eng zu definieren und erfasst nur Fälle, in denen es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Aus den Feststellungen des Gerichts ist nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtete.

c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden.

Gericht:
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17.06.2016 - 1 BvR 257/14 und 1 BvR 2150/14

BVerfG, PM
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