Ein Beitrag von stud.iur. Alexander Deja, Leibniz Universität Hannover.

I. Einführung

Den meisten Rechtsbetrachtern wird das deutsche Pendant besser bekannt sein, als die Kreation des EuGH: Die Verfassungskonforme Auslegung. Dies liegt daran, dass trotz 80% Determination des deutschen Rechts von europäischem Recht, wir die Rechtsanwendung doch stets im Lichte des nationalen Rechtes sehen und das europäische Recht hinter einem Schleier aus nationalen Rechtsnormen verschwindet. Dies liegt an der unmittelbaren Präsenz des nationalen Rechtes. Dennoch funktionieren die Verfassungskonforme Auslegung und die Richtlinienkonforme Auslegung auf die gleiche Art:

Man nehme eine Rechtsnorm und lege sie aus. Hat diese Norm mehr als eine Auslegungsmöglichkeit, so nimmt man diese, die (bei der Verfassungskonformen Auslegung) mit der Verfassung vereinbar ist oder bei der Richtlinienkonformen Auslegung diejenige, die mit dem Unionsrecht im Einklang steht.

Die Grenze dieser Auslegung ist und bleibt der Wortlaut, denn wenn der Wortlaut bezüglich eines gewissen Umstandes klar ist, so kann es nicht mehrere Auslegungsmöglichkeiten geben.

II. Die Richtlinienkonforme Auslegung als Teil des europäischen Rechtsschutzes

Die Richtlinienkonforme Auslegung ist Teil des europäischen Rechtsschutzes der durch den EuGH erkämpft wurde. Daher kann man auch diese nur verstehen, wenn man ihren Rang und ihre Stellung innerhalb Europas kennt.

Alles fing damit an, dass der EuGH die einheitliche Anwendung und die effektive Durchsetzung von Unionsrecht (effet utile Gedanke) gewährleisten wollte. Denn die europäische Rechtsordnung ist mehr als ein völkerrechtlicher Vertrag, sie ist eine Abtretung von Kompetenzen an ein supranationales Organ. Es ist eine Unterwerfung der Mitgliedsstaaten unter das Diktat eines von ihnen gewählten Spruchkörpers. Wenn man sich nun in bestimmten Bereichen unterwirft, so muss dies zum Teil oder Ganz geschehen, sodass eine Unterwerfung auch immer eine Vereinheitlichung dessen beinhaltet, dem man sich unterwirft. Zudem besteht zwischen den Mitgliedsstaaten eine, aus der Übertragung der Kompetenzen folgende, enge Verzahnung in den Bereichen die vereinheitlicht werden sollen, wonach eine uneinheitliche Anwendung der geschaffenen Rechtsnormen schädlich wäre, da sie gerade der gewollten Vereinheitlichung entgegenläuft und keine geeignete Rechtssicherheit des Bürgers darstellt, da es ihm nicht überschaubar ist, wie das betreffende Recht in dem Mitgliedsstaat gerade angewendet wird. Jedoch ist reine Vereinheitlichung eine Fiktion und selbst innerhalb eines Mitgliedstaates nicht gewährleistet. Ziel muss es also sein, die Vereinheitlichung auf den Standard anzuheben, dass sie qualitativ dessen entspricht, was innerhalb eines Mitgliedstaates gewährleistet wird.

Konstitutiv für den europäischen Rechtsschutz ist vor allem der Art. 267 AEUV; das sogenannte Vorabentscheidungsverfahren. Denn hier entscheidet letztendlich, nach Vorlage an den EuGH, das nationalstaatliche Gericht. Diese Entscheidung des Gerichtes ist wie alle anderen auch bindend für den jeweiligen Staat, stammt aber qualitativ von dem EuGH. Da davon ausgegangen werden kann, dass auch Gerichte anderer Staaten in ähnlichen Fragen den EuGH anrufen, da sie in bestimmten Konstellationen dazu verpflichtet sind, wird ein einheitlicher Rechtsschutz geschaffen.

Ist die Richtlinie, nach Ablauf der Umsetzungsfrist, nicht umgesetzt oder stehen staatliche Rechtsnormen dem europäischen Recht entgegen, kann auch eine unmittelbare Anwendung von europäischem Recht in Betracht kommen. Während das Primärrecht sowie Verordnungen uneingeschränkt unmittelbar anwendbar sind, unterliegen Richtlinien einer besonderen Bestimmung: Sie gelten nur in vertikalen Konstellationen (Bürger gegen Staat). Weiterhin gilt dies nur, wenn der Staat die Richtlinie nicht, oder fehlerhaft umgesetzt hat und diese dem Staat keinen zu großen Gestaltungsspielraum einräumt. Die interessanten Konstellationen finden sich jedoch in horizontalen Begebenheiten. In solchen muss die unmittelbare Anwendung ausscheiden, da zwischen dem Primärrecht und Verordnungen einerseits und den Richtlinien andererseits ein gradueller Unterschied besteht. Ebenso scheidet eine unmittelbare Anwendung aus, wenn die Frist zur Umsetzung einer Richtlinie noch nicht abgelaufen ist.

Dies ist jedoch unter Rechtsschutzgesichtspunkten nicht hinnehmbar. Deswegen behilft man sich mit der richtlinienkonformen Auslegung um dieses Missstand zu korrigieren. Dabei werden die Rechtsgedanken der Richtlinie in das nationale Recht hineingelesen und bestimmen den Anwendungskreis des nationalen Rechtes. Angewendet wird die Auslegung der fraglichen Norm, die mit Europarecht vereinbar ist. Freilich kann nur etwas hineingelesen werden, wenn auch der entsprechende Spielraum vorhanden ist, daher muss die Richtlinienkonforme Auslegung bei klarem und entgegenstehendem Wortlaut ausscheiden.

Ist dies auch der Fall, komplementiert der EuGH den Rechtsschutz mit einem Schadensersatzanspruch gegen den Staat, der sich nicht europarechtskonform verhalten hat.

III. Fazit

Betrachtet man sich den Anwendungsbereich der richtlinienkonformen Auslegung fällt einem auf, dass dieser begrenzt ist. Zuerst einmal muss eine fragliche Richtlinie vorliegen. Diese darf weiterhin nicht unmittelbar anwendbar sein und drittens darf der Wortlaut nicht entgegenstehen. Nichts desto trotz ist die richtlinienkonforme Auslegung praktisch nicht ganz irrelevant und vervollständigt den europäischen Rechtsschutz.

IV. Ein Ausblick: Richtlinienkonforme Auslegung vor Fristablauf

Die Auslegung einer Richtlinie, sowie die Übertragung derer Rechtsgedanken in das nationale Recht erfährt eine Anwendungserweiterung, wenn dies vor Fristablauf geschieht. So kann es europäischen Rechtschutz bereits dann geben, bevor ein Rechtszwang zur Umsetzung der Richtlinie besteht. Daher kann man dies unvereinbar mit dem Gewaltenteilungsprinzip aus Art. 20 III GG halten, da sich die Richtlinie zu ihrer Umsetzung an das Parlament und nicht an die mitgliedsstaatlichen Gerichte wendet. Ebenso bedenklich ist, dass die Rechtssicherheit dadurch gefährdet ist, dass eine vielleicht gefestigte Rechtsprechung geändert wird. Jedoch appelliert hier der EuGH an die Europarechtstreue der Mitgliedsstaaten denen sich auch die Gerichte nicht entziehen dürfen. M.E. ist der Gewaltenteilungsgrundsatz dann nicht gefährdet, wenn sich die nationalstaatlichen Gerichte innerhalb ihrer rechtsstaatlich anerkannten Auslegungsmethoden befinden und gemäßigte Rechtsfortbildung betreiben, da sie dann mit europäischem Recht nicht anders verfahren als mit nationalem. Sie tragen innerhalb ihrer Auslegungsmethoden nur geänderten (europäischen) Umständen Rechnung. Jedoch sollte dies nicht überschwänglich angewendet werden und nicht die bisherigen Auslegungsmethoden verdrängen, sondern mit ihnen gemeinsam erfolgen: Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn schon vor der Richtlinie nicht nur unerhebliche Gründe, für die Bestrebungen der Richtlinie, bestanden. Ganz nach dem Gedanken: In dubio pro Europa.

Stud.iur. Alexander Deja
Leibniz Universität Hannover

Werbung
Werbung auf Rechtsindex.de