Es ist keine Pflichtverletzung, dass einer 5-jährigen Radlerin erlaubt wurde, die letzte Strecke zum Kindergarten alleine voraus zu fahren. Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter, insgesamt danach, was Eltern in der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen müssen.

Der Sachverhalt

Am frühen Morgen fuhr die Ehefrau des Besitzers eines Mercedes-Benz in einer Nebenstraße und kam an einem Kindergarten vorbei. Vor diesem standen einige Kinder mit Fahrrädern. Eines dieser Räder stürzte um. Die am Rad befestigte Sichtstange, stieß an den Mercedes. An den Fahrzeugtüren entstanden Schrammen und verursachten einen Schaden in Höhe von 1350 Euro.

Diesen Schaden wollte der Eigentümer des Autos von dem Vater der 5-jährigen Radlerin, da dieser nach seiner Meinung die Aufsichtspflicht verletzt habe. Das Mädchen sei schon von der Ludwigstraße bis zum Kindergarten vor seiner Frau hergefahren und erst bei den Garagen auf den Gehweg gewechselt. Der Vater sei nirgends in der Nähe gewesen. Diese Aussage sein unrichtig, so der Vater. Er sei mit seinen Töchtern aus der Kaulbachstraße gekommen. Seine 5-jährige Tochtern fahre auch schon eine Weile allein. Sie wurde stets ermahnt, vorsichtig zu sein. Im konkreten Fall habe es ein Gedränge vor dem Kindergarten gegeben und nur deshalb sei das Fahrrad umgefallen.

Die Entscheidung

Die Richterin gab dem Vater Recht und wies die Klage ab. Zwar stünde fest, dass das Fahrrad der 5-jährigen Tochter des Beklagten den Schaden verursacht habe, dieser habe aber seine Aufsichtspflicht nicht verletzt.

Bei Kindern bestimme sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter, weiterhin nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens. Insgesamt sei das zu tun, was verständige Eltern vernünftigerweise in der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu vermeiden.

Grundsätzliche Aufsichtspflicht bei nichtschulpflichtige Kinder

Hinsichtlich einer Teilnahme am Straßenverkehr werde man zwar grundsätzlich davon ausgehen müssen, dass nichtschulpflichtige Kinder noch einer Aufsicht bedürfen. Beim Ausmaß der Aufsicht seien neben dem Alter des Kindes und der Erfahrung als Teilnehmer am Straßenverkehr auch die konkreten Straßenverhältnisse zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sei die Tochter bereits etwas über 5 Jahre gewesen und sei seit ca. 2 ½ Jahren Rad gefahren. Vorher habe sie bereits ein Jahr lang ein Laufrad gehabt. Die Strecke zum Kindergarten fahre sie ebenfalls seit 2 Jahren. Unfälle habe es keine gegeben.

Deshalb sei keine Pflichtverletzung darin zu sehen, dass ihr erlaubt worden sei, die letzte Strecke alleine voraus zu fahren. Das Gericht sei auch auf Grund der Zeugenaussagen davon überzeugt, dass das Kind aus Richtung der Kaulbachstraße gekommen sei. Dieser Teil des Weges sei weitestgehend ein Geh- und Radweg, der nicht von Kraftfahrzeugen genutzt werden könne.

Erziehung zu verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmern

Im Hinblick auf den Umstand, dass es zu den Erziehungspflichten der Eltern gehöre, ihr Kind zu selbständigen und verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmern zu erziehen, stelle das Vorausfahrenlassen keine Aufsichtspflichtverletzung dar. Dazu sei es nötig, Kindern gewisse Freiräume zu geben, die es ihnen ermögliche, Gefahrensituationen zu erkennen und zu meistern. Bei einem 5-jährigen Kind sei zudem zu berücksichtigen, dass es in naher Zukunft in der Lage sein sollte, den Schulweg zu bewältigen. Es sei daher in Ordnung, wenn Eltern ein derartiges Kind, dass sein Fahrrad beherrsche, kleinere Strecken, gerade auch auf wenig befahrenen Straßen alleine fahren zu lassen.

Umfallen des Rades hätte nicht verhindert werden können

Außerdem stehe aufgrund der Zeugeneinvernahme auch fest, dass das Fahrrad aufgrund eines Getümmels vor dem Eingangstor zum Kindergarten umgefallen sei. Dies hätte der Vater auch nicht verhindern können, wenn er in Sichtkontakt gewesen wäre. Man könne nicht verlangen, dass permanent ein Elternteil den Lenker des Kinderrades hält. Dies würde einer Gängelei des Kindes gleichkommen, die einer normalen Persönlichkeitsentwicklung hin zum selbständigen Verkehrsteilnehmer nicht dienlich wäre.

Gericht:
Amtsgericht München, Urteil vom 19.11.2010 - 122 C 8128/10 (rechtskräftig)

Rechtsindex, Pressemitteilung des AG München
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