"Die Grundsätze der freien und geheimen Wahl sowie der Öffentlichkeit der Wahl werden hierdurch nicht verletzt", so der Leitspruch des Bundesverfassungsgerichts (Az. 2 BvC 7/10) bei der Zurückweisung der Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Europawahl 2009 wegen der Öffnung der Briefwahl für alle Wähler - auch solche ohne triftige Gründe.

Was die Verfassungsrichter damals nicht beachtet hatten war, dass hierdurch die Möglichkeit einer Gesetzeslücke vergrößert wurde, welche die Grundsätze der Wahl - insbesondere die geheime Wahl - gefährden könnte.

Ausgangssituation ist folgende: Bei der derzeit anstehenden Kommunalwahl 2014 in Bayern wurden die Stimmbezirke durch die Bürgermeister als laufende Angelegenheit selbst und eigenverantwortlich festgesetzt. Bei den meisten der 2.056 bayerischen Gemeinden lief dies durch eine kurze Anordnung des Bürgermeisters, dass die Stimmbezirke wie bei der letzten Wahl bestehen bleiben. Man möchte kurz vor der Wahl doch nicht einzelne Bürger verärgern, indem man sie zum Wählen in den Nachbarstimmbezirk schickt, weil der eigene dort eingegliedert wurde.

Durch die Öffnung der Briefwahl für jedermann auch ohne Begründung, stieg die Anzahl der Briefwähler rasant an, was die Wahlleiter spätestens jetzt zu spüren bekommen haben dürften. Verständlicherweise, muss man zugestehen, da die Kommunalwahl in Bayern aus 4 Wahlen (Bürgermeister, Landrat, Gemeinderat, Kreistag) besteht, und schon alleine für die Kreistagswahl 60 Stimmen zu vergeben sind. Daraus folgt ein Aufwand, den man sich gerechtfertigter Weise lieber daheim am Küchentisch, als in der engen Wahlkabine aussetzt.

Kehrseite der ansteigenden Briefwählerschaft ist allerdings, dass die Wahlbeteiligung, und dadurch die Anzahl der abgegebenen Stimmen in den einzelnen Urnenwahlbezirken schwindet.

Vereinzelt scheint es nun bereits vor der Wahl durchaus möglich, dass in bereits ohnehin schon kleineren Stimmbezirken bei der Urnenwahl die Grenze von 50 abgegebenen Stimmzetteln unterschritten wird. Die Grenze von 50 abgegebenen Stimmen folgt aus dem Rechtsgedanken des Art. 19 Abs. 2 S. 2 und 3 GLKrWG, wonach jeder Stimmbezirk eigentlich von vornherein so abzugrenzen ist, dass mehr als 50 Stimmzettel abgegeben werden, um eine Verletzung des Abstimmungsgeheimnisses - welche einen erheblichen Wahlrechtsverstoß darstellen würde - zu vermeiden.

Zugegeben, die Problematik ist durch die Gemeinde im Prinzip selbst verschuldet. Hätte man doch vorher einfach die Stimmbezirke überarbeitet und zusammengefasst. Doch was ist nun zu tun, wenn der Fall eintritt, dass durch die erhöhte Anzahl an Briefwählern am Wahltag weniger als 50 Urnenwähler im Wahllokal erscheinen und demnach nicht genug Stimmzettel abgegeben werden?

Eine gesetzliche Regelung hierfür ist weder im GLKrWG, noch in der GLKrWO zu finden. Es findet sich allerdings eine vergleichbare Situation in Art. 19 GLKrWG. Dieser besagt, dass bei der Auszählung von Briefwahlbezirken derjenige Briefwahlvorstand, der weniger als 50 Wahlbriefe zugelassen hat, die Wahlbriefe zur Auszählung in einen anderen Stimmbezirk abzugeben hat, wo diese im laufenden Verfahren mit den dortigen Stimmzetteln zusammengefasst und gemeinsam ausgezählt werden.

Idee einiger Wahlleiter dürfte nun sein, diese Regelung für den Fall der Fälle „analog" anzuwenden. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, ob die Wahlzettel der Urnenwahl einfach in einen anderen Stimmbezirk abgegeben werden dürfen? Das Problem mit der geheimen Abstimmung wäre praktischerweise gelöst, nur leider ist diese Variante streng nach dem Gesetz nicht zulässig.

Erster Hinweis auf diese Unannehmlichkeit findet sich schon in den anzuwendenden Formalien. Die am Wahlabend anzufertigende Niederschrift sieht Eintragungsmöglichkeiten und Anweisungen nur für den Fall vor, dass in einem Briefwahlbezirk weniger als 50 Wahlzettel abgegeben wurden, nicht jedoch für die Urnenwahl.

Desweiteren bestimmen die gesetzlichen Grundlagen, dass es für Wahlvorstände gar nicht erlaubt ist, Wahlurnen (und deren Stimmzettel) von einem anderen Wahlvorstand in einem anderen Stimmbezirk auszählen zu lassen, wie es in einem solchen Fall von Art. 19 GLKrWG i. V. m. § 74 GLKrWO für die Briefwahlvorstände vorgesehen ist. Die §§ 79 ff. GLKrWO bestimmen, dass jeder Wahlvorstand "sein" Abstimmungsergebnis selbst zu ermitteln hat.

Doch wie ist in der Praxis in einem solchen Fall nun zu verfahren? Sollen die Urnenwahlzettel trotz § 79 GLKrWO an einen anderen Wahlvorstand abgegeben werden um insgesamt mehr als 50 Stimmzettel in der Auszählung zu erreichen? Oder sollen die unter 50 Stimmzettel vom eigentlichen Wahlvorstand ausgewertet, und das damit verbundene Risiko einer Gefährdung des Abstimmungsgeheimnisses in Kauf genommen werden?

Hierbei wird wohl letzterer Variante der Vorzug zu geben sein. Natürlich geht man das Risiko einer Verletzung der Wahlrechtsgrundsätze ein. Dagegenhalten kann man im Falle einer rechtsaufsichtlichen / gerichtlichen Prüfung allerdings, dass man sich an die gesetzlichen Vorgaben zur Auszählung gehalten hat, siehe §§ 79 ff. GLKrWO. Auch anzumerken ist, dass eine Gefährdung des Abstimmungsgeheimnisses zumindest bei der Gemeinderats- / Kreistagswahl nach der Wahrscheinlichkeit her trotz geringer Abstimmungszahl wohl nicht angenommen werden kann, da es auf Grund der Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens bei den bayerischen Kommunalwahlen kaum möglich sein kann, annähernd vollständig gleiche Wahlzettel zu erhalten. Dies wäre wohl ausschließlich bei auf allen Stimmzetteln gleich abgegebenen Listenkreuzen ohne Veränderung gegeben - was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht vorkommen wird.

Bei den Bürgermeister- und Landratswahlen ist die Wahrscheinlichkeit, von unter 50 abgegebenen Stimmzetteln 100% mit gleichem Wahlverhalten zu erhalten allerdings schon deutlich größer. Bei solch einem Ergebnis wäre die geheime Wahl mehr als eindeutig verletzt. Doch auch hierbei ist wohl die gesetzeskonforme Behandlungsvariante vorzuziehen. Notfalls muss letztendlich eine anschließende gerichtliche Entscheidung abgewartet werden; mit der Hoffnung, dass die Richter einen Wahlrechtsverstoß verneinen und den Gesetzgeber zur Änderung auffordern.

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