Das Filmen von Demos durch die Polizei und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt auch dann einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt.

Der Sachverhalt

Im September 2009 hatte einer der Kläger eine vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor führende Demonstration veranstaltet. Dieser Aufzug wurde während seiner Dauer durch die Polizei von einem Kamerawagen aus gefilmt. Die Bilder überspielte die Polizei im sogenannten ‘Kamera-Monitor-Verfahren’ in Echtzeit in die Einsatzleitstelle. Eine Speicherung der Daten erfolgte nicht. Der Polizeipräsident begründete die Aufnahmen mit der Notwendigkeit, sich in der Einsatzleitstelle ein Bild der Lage vor Ort machen und gegebenenfalls verkehrslenkende Maßnahmen vornehmen zu können. Die Kläger meinten demgegenüber, die Teilnehmer der Versammlung würden durch die Kamerapräsenz eingeschüchtert und durch das Gefühl des Beobachtetseins möglicherweise sogar auf eine Teilnahme an der Versammlung verzichten.

Die Entscheidung

Die 1. Kammer ist der Argumentation der Kläger gefolgt. Das bloße Beobachten und Anfertigen von Übersichtsaufnahmen durch die Polizei, verbunden mit der technischen Möglichkeit des gezielten Heranzoomens einzelner Teilnehmer einer Versammlung, sei ein Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit. Der einzelne Versammlungsteilnehmer könnte durch das Gefühl des Beobachtetseins ungewollt eingeschüchtert und möglicherweise von einer Teilnahme an einer Versammlung abgehalten werden. Für den Teilnehmer sei es nicht erkennbar, ob neben der Übertragung der Bilder in Echtzeit auch eine Speicherung der Daten erfolge. Darüber hinaus liege hier auch ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Versammlungsteilnehmer vor. Für dieses polizeiliche Handeln sei eine gesetzliche Rechtsgrundlage erforderlich, die das geltende Versammlungsrecht im Land Berlin jedoch nicht vorsehe.

Kommentar der Gewerkschaft der Polizei Berlin

Der stellvertretende GdP-Landesbezirksvorsitzender Michael Reinke sieht die Videoüberwachung von Demonstrationen durch die Polizei als ein unverzichtbarer Teil polizeitaktischer Maßnahmen zur Vermeidung von Gewalt bei Demonstrationen. Dieses Instrument darf der Polizei nicht aus der ‚Hand geschlagen’ werden. Damit würde der Polizei ‚ein Standbein’ entzogen, bei Demonstrationen ihre Kräfte rechtzeitig an Brennpunkte zu verlegen, wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könnte. "Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Gewalt bei Veranstaltungen und der Anwesenheit bestimmter Personengruppen. Diese muss die Polizei erkennen können und das ist nur mit der Videoüberwachung möglich", so Reinke.

Rechtsgrundlagen:

Art. 8 Abs. 1 GG
Art. 2 Abs. 1 i.Vm. Art. 1 Abs. 1 GG

Gericht:

Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 05.06.2010 - VG 1 K 905.09

Gegen das Urteil ist der Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.

Rechtsindex, VG Berlin
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