Die Deutsche Umwelthilfe und eine betroffene Anwohnerin setzen sich vor Gericht gegen die hessische Landesregierung wegen ihrer Untätigkeit bei der Luftreinhaltung in der Landeshauptstadt Wiesbaden durch. Das Gericht hat insbesondere die Klagebefugnis des Deutschen Umwelthilfe e.V. anerkannt. Ein Urteil mit bundesweiter Signalwirkung.

DUH und Anwohnerin setzen sich vor Gericht durch

Die jahrelange Weigerung der hessischen Landesregierung, gegen die hohe Luftschadstoffbelastung in der Landeshauptstadt Wiesbaden vorzugehen, war rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden heute in einem Grundsatzurteil entschieden, in dem außerdem erstmals in diesem Zusammenhang einem Umweltverband ein eigenes Klagerecht zugestanden wurde.

Das Land muss nunmehr einen Luftreinhalteplan aufstellen, der alle Maßnahmen enthält, mit denen der bereits seit 2010 geltende EU-weite Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) schnellstmöglich eingehalten werden kann. Nach Überzeugung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) wird damit an der Einführung einer Umweltzone kein Weg vorbeiführen. Das Gericht hat außerdem erstmals in Deutschland entschieden, dass nicht nur die von hohen Luftschadstoffen direkt betroffene Klägerin ihr Recht auf saubere Luft vor Gericht durchsetzen kann, sondern auch Verbände wie die DUH.

"Dieses Urteil wird in der Konsequenz zu einer beschleunigten Scharfstellung und Neuausweisung von Umweltzonen in ganz Deutschland führen. Überall dort, wo die Verantwortlichen ihren Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf saubere Luft verweigern, wird die DUH helfen, dieses Grundrecht durchzusetzen, notfalls auch erneut vor Gericht.

Das Gericht folgt der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in seinem Urteil vom 08.03.2011 und erkennt dessen Leitfunktion an. Nach diesen Vorgaben muss das Gericht das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens so auslegen, dass es einer Umweltschutzvereinigung ermöglicht wird, eine Entscheidung, die möglicherweise im Widerspruch zu Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.

Die Klagen sind auch begründet, weil den Klägern gemäß §§ 47 Abs. 1 BImSchG, 27 Abs. 2 39. BImSchV ein Anspruch auf einen Luftreinhalteplan zusteht, in dem geeignete Maßnahmen enthalten sein müssen, um den Zeitraum der Nichteinhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwerts für Stickstoffdioxid (NO2) so kurz wie möglich zu halten. Diese Anforderungen erfüllt der im Entwurf vorliegende Luftreinhalteplan – Teilplan Wiesbaden nicht. Auch bei Umsetzung aller in diesem Entwurf vorgesehenen Maßnahmen steht fest, dass der vorgegebene Grenzwert von Stickstoffdioxid (NO2) weder am Wohnhaus der Anwohnerin noch an den sonst stark belasteten Punkten im Stadtgebiet Wiesbadens eingehalten wird. Nach der im Planentwurf enthaltenen Prognose der NO2-Konzentration für 2015 ergeben sich für 2015 an drei der fünf Messstellen weiterhin erhebliche Grenzwertüberschreitungen.

Dauerhafte NO2-Überschreitungen müssen nicht hingenommen werden

Solche dauerhaften Überschreitungen müssen angesichts der zwingenden, dem Gesundheitsschutz dienenden normativen Regelungen nur hingenommen werden, wenn alle geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zur Verminderung der Stickstoffdioxidkonzentration in der Planung ausgeschöpft werden. Das ist nicht der Fall. Eine Umweltzone soll nicht in den Luftreinhalteplan aufgenommen werden, obwohl die Wirksamkeit gutachterlich bestätigt ist und auch die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme gegeben ist. Immerhin sind im Plangebiet 63,6% der vorhandenen NO2-Belastung auf den Kraftfahrzeugverkehr zurückzuführen, so dass es dem Gericht sachgerecht und geboten erscheint, hier einzugreifen. Die Verweigerung des Einvernehmens durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde wegen Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme ist rechtswidrig, weil sie einseitig auf finanzielle Belastungen von Bevölkerung und Wirtschaft und die angeblich minimalen Auswirkungen einer Umweltzone bedacht nimmt und das zentrale Ziel der Festsetzung der einzuhaltenden Grenzwerte, den Schutz der menschlichen Gesundheit, völlig außer Acht lässt.

Das Gericht verkennt nicht den planerischen Gestaltungsspielraum des beklagten Landes bei der Aufstellung des Lufreinhalteplans. Normativ werden nur einzuhaltende Ziele vorgegeben, während konkrete Vorgaben für die zu treffenden Maßnahmen fehlen. Das bedeutet jedoch keine völlige Freiheit im Rahmen der planerischen Entscheidungen. Das beklagte Land muss sich vielmehr auch bezüglich der unterlassenen Maßnahmen an den normativen Zielvorgaben messen lassen. Dieser Rechtslage trägt die Antragstellung Rechnung, so dass den Klagen in vollem Umfang stattzugeben war.

Vorliegend besteht allerdings eine Besonderheit. Angesichts der fortgeschrittenen Planung, bei der alle denkbaren Maßnahmen erwogen wurden, steht fest, dass auf lokaler Ebene alle umsetzungsfähigen und verhältnismäßigen Maßnahmen Eingang in den Planentwurf gefunden haben, mit Ausnahme der effektivsten, der Umweltzone. Damit ist der Urteilsspruch praktisch gleichbedeutend mit der Verpflichtung zur Aufnahme einer Umweltzone in den Teilplan Wiesbaden des Luftreinhalteplans Rhein-Main.

Berufung und Sprungrevision

Berufung zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel und Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wurden wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Klagebefugnis des Klägers zu 2) und wegen der Frage des Umfangs der gerichtlich durchsetzbaren Ansprüche auf Inhalte von Luftreinhalteplänen zugelassen.

Gericht:
Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 10.10.2011 - 4 K 757/11

Quelle: Deutschen Umwelthilfe e.V., VG Wiesbaden
Redaktion Rechtsindex

Werbung
Werbung auf Rechtsindex.de