Was geschieht, wenn ein Mitarbeiter trotz vorübergehender Alkoholentwöhnung rückfällig wird? Im konkreten Fall bezweifelte das Gericht, dass ein einziger erneuter Alkoholkonsum während einer ambulanten Therapie eine negative Prognose rechtfertigt.

Ein Beitrag der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf

Schätzungen zufolge sind rund 1,5 Mio. Bundesbürger alkoholabhängig. Erfährt der Chef davon, wird er seinem Mitarbeiter zunächst eine ambulante Therapie anraten. Doch was geschieht, wenn der Mitarbeiter trotz vorübergehender Entwöhnung rückfällig wird?

Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg Urteil vom 05.09.2012 (Az.: 15 Sa 911/12) darf der Arbeitgeber in einer solchen Situation nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen. "In dem konkreten Fall bezweifelt das Gericht vor allem, dass ein einziger erneuter Alkoholkonsum während einer ambulanten Therapie bei einem an Alkoholsucht leidenden Arbeitnehmer eine negative Prognose rechtfertigt", erklärt der Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons aus Duisburg.

Der Sachverhalt

In der Entscheidung geht es um einen Betriebselektriker, der im Rahmen einer ambulanten Therapie einen Rückfall erlitten hatte und von seinem Arbeitgeber daraufhin die Kündigung erhielt. Begründung des Arbeitgebers: Der Mitarbeiter habe wiederholt gezeigt, dass er vom Alkohol nicht loskomme. Außerdem sprächen betriebliche Belange gegen eine Weiterbeschäftigung. Der Mitarbeiter arbeite u.a. an 220-Volt-Anlagen. Schon bei einer einmaligen Verfehlung könne es zu erheblichen Verletzungen des Mitarbeiters selbst und anderer Beschäftigter kommen. Außerdem arbeite der Mitarbeiter meist allein, sodass eine Kontrolle kaum möglich sei.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg

Das alles überzeugte die Landesarbeitsrichter nicht. "Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfolgt die Prüfung, ob eine alkoholbedingte Kündigung rechtmäßig ist, in drei Stufen - und zwar entsprechend den Grundsätzen einer krankheitsbedingten Kündigung. Erstens muss eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes bestehen. Zweitens muss der Arbeitgeber erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen nachweisen und drittens muss auch bei Abwägung der beiderseitigen Interessen die Kündigung gerechtfertigt sein", zählt Rechtsanwalt und Notar Schons auf.

Im konkreten Fall hatten die Richter schon auf der ersten Stufe Bedenken, ob ein einziger erneuter Alkoholkonsum während einer ambulanten Therapie bei einem an Alkoholsucht leidenden Arbeitnehmer eine negative Prognose rechtfertigen könne. Arbeitsgerichte betonen immer wieder, dass es keinen Erfahrungssatz gebe, wonach ein Rückfall nach einer zunächst erfolgreichen Entwöhnungskur und längerer Abstinenz einen endgültigen Fehlschlag jeglicher Alkoholtherapie für die Zukunft bedeute. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ließ diese Frage aber letztlich offen, weil es auf der zweiten Prüfstufe nicht feststellen konnte, dass der Rückfall des Mitarbeiters betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt habe. Der Arbeitgeber hatte noch nicht einmal vorgetragen, dass ihm durch die Alkoholerkrankung des Mitarbeiters nennenswerte Lohnfortzahlungskosten entstanden waren.

Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Eigen- und Fremdgefährdung

Auch unter dem Gesichtspunkt der Eigen- und Fremdgefährdung war die Kündigung nach Ansicht der Landesarbeitsrichter nicht gerechtfertigt. Denn der Mitarbeiter hatte am Arbeitsplatz keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen gezeigt. Ein alkoholbedingter erneuter Rückfall müsse, so das LAG, nicht zwangsläufig zu Auswirkungen auf die betriebliche Tätigkeit selbst führen. Dies hänge vielmehr von der Intensität des Alkoholkonsums, dessen Dauer und ggf. auch einer erneuten Therapiebereitschaft des Arbeitnehmers ab. Gerade eine schnelle Therapiebereitschaft könne dazu führen, dass es nicht oder kaum zu Auswirkungen in der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit komme. Schließlich habe der Arbeitgeber auch nicht vorgetragen, dass Alkoholerkrankte bei ihm als Betriebselektriker aufgrund von Unfallverhütungsvorschriften oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht beschäftigt werden könnten.

Arbeitnehmer, die sich mit einer möglicherweise ungerechtfertigten Kündigung konfrontiert sehen, und Arbeitgeber, die wissen wollen, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung ausgesprochen werden kann, sollten sich an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht wenden.

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Themenindex:
Alkoholsucht, Alkoholerkrankung,, Alkoholabhängigkeit, Prognoseprinzip

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