In einem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht München (LAG) ging es um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die den Vorwurf des sog. "Whistleblowing" zum Anlass hatte.

Ein Beitrag von Himmelsbach & Sauer Partnerschaft

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin als Lokführer beschäftigt. Im Laufe des Arbeitsverhältnisses hatte der Arbeitnehmer mehrere Abmahnungen wegen zu schnellen Fahrens mit einem der Züge der Arbeitgeberin erhalten. Zugleich hatte der Arbeitnehmer während seiner Tätigkeiten vermehrt Mängel an den Zügen der Arbeitgeberin festgestellt und vereinzelnd gemeldet. Auch kam es mehrfach zu Bränden in den Zügen.

Im Vertrauen wandte sich der Arbeitnehmer an seinen Nachbarn, der zugleich Polizist war, und fragte diesen um Rat. Er schilderte dem Polizisten Probleme mit den Bremsen der Züge und seine Angst, den Zug in einem Notfall nicht rechtzeitig stoppen zu können. Der Polizist leitete daraufhin die Angaben an das zuständige Eisenbahnbundesamt weiter, die die Ermittlungen in der Sache aufnahm. Als die Arbeitgeberin von dem Gespräch des Arbeitnehmers mit dem Polizisten erfuhr, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer außerordentlich.

Der Arbeitnehmer legte gegen die außerordentliche Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Gericht ein. Er machte geltend, dass die Bremsprobleme wiederholt aufgetreten seien. Die Arbeitgeberin sei von ihm über die technischen Probleme in Kenntnis gesetzt worden, aber untätig geblieben. Durch den persönlichen Rat seitens des Polizisten habe er die Arbeitgeberin weder anschwärzen, noch eine Ermittlung des Eisenbahnbundesamtes gegen die Arbeitgeberin oder ihre Muttergesellschaft einleiten wollen. Der Arbeitnehmer habe sich im Vertrauen an den Polizisten und Nachbarn gewandt, um seine Bedenken hinsichtlich seiner Verantwortlichkeit als Lokführer mitzuteilen. Ein Grund zur außerordentlichen Kündigung könne dies nicht darstellen.

Die Arbeitgeberin entgegnete der Aussage des Arbeitnehmers, dass der Arbeitnehmer den Polizisten nur zum Zwecke des "Anschwärzens" aufgesucht hätte. Die Angaben, die der Arbeitnehmer gegenüber dem Polizisten äußerte, seien unwahr. Die Züge seien in einem einwandfreien Zustand. Brände in den Zügen hätte es ebenfalls nicht gegeben. Der Arbeitnehmer habe die belastenden Aussagen als Reaktion auf seine von der Arbeitgeberin erhaltenen Abmahnungen hervorgebracht. Bei dem Gespräch des Arbeitnehmers und dem Polizisten sei beiden Parteien von Anfang an klar gewesen, dass die Beschuldigungen gegen die Arbeitgeberin nicht vertraulich behandelt werden würden, sondern an das Eisenbahnbundesamt mit wesentlichen Folgen für die Arbeitgeberin weitergegeben würde. Dies rechtfertige eine außerordentliche Kündigung.

Die Entscheidung


Das LAG bewertete die außerordentliche Kündigung der Arbeitgeberin für rechtsunwirksam. Einem Arbeitnehmer sei es gestattet grundsätzlich gegen seinen Arbeitgeber Strafanzeige zu erstatten. Dies diene dem Erhalt des Rechtsfriedens. Die Strafanzeige dürfe aber keine Rachereaktion gegen eine Handlung des Arbeitgebers sein. Ferner müsse der Arbeitnehmer wahre Aussagen zum Sachverhalt machen.

Im vorliegenden Rechtsstreit habe der Arbeitnehmer seinen Nachbarn im Vertrauen aufgesucht, um ihm die Probleme bei der Verrichtung seiner Arbeit im Betrieb der Arbeitgeberin mitzuteilen. Er habe Gewissenskonflikte gehabt. Dabei habe er den Polizisten gebeten die Angaben vertraulich zu behandeln. Dies deute daraufhin, dass der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin nicht anschwärzen wollte. Er war vielmehr verängstigt und befürchtete, dass die Bremsen während seiner Arbeitstätigkeiten versagen könnten. Zwar sei es dem Arbeitnehmer zumutbar gewesen, zunächst das Gespräch mit der Arbeitgeberin aufzusuchen. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer gleich den Kontakt mit dem befreundeten Polizisten suchte, stellt allerdings keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Die zu Ungunsten des Arbeitnehmers ausgesprochene außerordentliche Kündigung war unwirksam.

Quelle: Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 01.04.2010 - 4 Sa 391/09
Vorinstanz: ArbG München, Urteil vom 25.02.2009 - 2b Ca 7565/08 H

Die Entscheidung zeigt deutlich, dass es bei einer Kündigung wegen einer Anzeige des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer (sog. "Whistleblowing") ganz entscheidend auf die zutreffende Beurteilung der Umstände des Einzelfalls ankommt. Eine pauschale Bewertung dieses Vorwurfs scheidet damit aus.

Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sollten sich daher bei gegebenem Anlass von einem auf das Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwalt in arbeitsrechtlichen Fragen beraten und vertreten lassen.

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