Kommt ein Fahrzeug durch einen Unfall zum Stehen, besteht keine Anschnallpflicht mehr. Prallt nun ein weiteres Fahrzeug in das stehende Fahrzeug und die Fahrerin davon wird verletzt, kann dieser nicht angelastet werden, unangeschnallt gewesen zu sein.

Der Sachverhalt


Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw nachts gegen 3:10 Uhr eine Bundesautobahn und verlor aus ungeklärten Gründen die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Sie schleuderte gegen die Mittelplanke und kam auf der linken Fahrspur unbeleuchtet zum Stehen. Kurz darauf kam ein weiteres Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht und prallte auf das Fahrzeug der Klägerin. Diese wurde dabei schwer verletzt.

Die Klägerin begehrt nun Schadensersatz unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 1/3. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Haftungsquote grundsätzlich auf 60 % abgesenkt.

Da die Klägerin bei dem Zweitunfall nicht angeschnallt war, hat es hinsichtlich des der Klägerin infolge ihrer Körperverletzung entstandenen Schadens einen höheren Mitverursachungsanteil angenommen und insoweit eine Haftungsquote von nur 40 % angeordnet. Mit der Revision wollte die Klägerin eine Haftung der Beklagten hinsichtlich sämtlicher Schäden mit einer einheitlichen Quote von 60 % erreichen.

Die Entscheidung

Die Revision hatte Erfolg. Nach § 21a Abs. 1 StVO müssen vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt grundsätzlich angelegt sein. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kann hinsichtlich unfallbedingter Körperschäden zu einer Haftungskürzung wegen Mitverursachung führen.

Da die Beklagten hier nur für die Folgen des Zweitunfalls haften, ist für die Frage der Mitverursachung durch die Klägerin allein von Bedeutung, ob zum Zeitpunkt des Zweitunfalls noch eine Anschnallpflicht bestand. Das war nicht der Fall, denn der Aufprall des von dem Beklagten gelenkten Pkw ereignete sich nicht "während der Fahrt" ihres eigenen Pkw.

Anschnallpflicht besteht nur während der Fahrt

Dessen Fahrt war vielmehr dadurch beendet worden, dass der Pkw unfallbedingt an der Leitplanke zum Stehen gekommen war. Nachdem es zu diesem Unfall gekommen war, war die Klägerin mithin nicht nur berechtigt, den Gurt zu lösen, um ihr Fahrzeug verlassen und sich in Sicherheit bringen zu können, sondern gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO sogar dazu verpflichtet, nämlich um die Unfallstelle sichern zu können. Ihr kann deshalb nicht angelastet werden, unangeschnallt gewesen zu sein, als sich der Zweitunfall ereignete.

Der u.a. für das Verkehrshaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil deshalb aufgehoben und die Entscheidung zugunsten der Klägerin abgeändert.

Themenindex:

Haftungsquote, Mitverschulden

Gericht:
Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.02.2012 - VI ZR 10/11

Vorinstanz:
OLG Karlsruhe - Entscheidung vom 15. Dezember 2010 - 1 U 108/10
LG Baden-Baden - Entscheidung vom 20. Mai 2010 - 3 O 565/09

BGH PM Nr. 27/2012
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