Der EuGH hat entschieden, dass einem Führerscheininhaber von einem anderen Mitgliedstaat das Recht abgesprochen werden kann, in seinem Hoheitsgebiet zu fahren, nachdem er dort einen Verkehrsverstoß begangen hat, der geeignet ist, seine fehlende Fahreignung herbeizuführen.

Allerdings dürfe dieses Recht nicht unbegrenzt verwehrt werden, und die Bedingungen für seine Wiedererlangung müssten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.

Der Sachverhalt

Eine Österreicherin wohnt unweit der deutschen Grenze. Nach einer Polizeikontrolle in Deutschland ergab die Untersuchung der Blutprobe, dass sie unter Einfluss von Cannabis gefahren war und dass sie dieses Rauschmittel zumindest gelegentlich konsumierte.

Die deutsche Behörde

Die deutschen Behörden waren der Auffassung, dass sie nicht in der Lage sei, das Fahren und den Konsum berauschender Mittel voneinander zu trennen, und dass sie daher zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Ihr wurde daher das Recht abgesprochen, mit ihrem österreichischen Führerschein in Deutschland zu fahren. Sie könne aber das Recht wiedererlangen, so die deutschen Behörden, wenn sie ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPG) vorlege, das die Abstinenz von jeglichem Konsum berauschender Mittel während eines Jahres nachweise.

Die österreichische Behörde

In Österreich sah die Sache anders aus. Dort sah man sie weiterhin als geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Demnach behielt sie ihren Führerschein. Die österreichischen Behörden schreiten nämlich nur ein, wenn eine fehlende Fahreignung wegen des Konsums berauschender Mittel medizinisch festgestellt wird oder wenn Anzeichen bestehen, die eine Abhängigkeit von diesen Mitteln vermuten lassen. Nach dem Protokoll des deutschen Arztes , der die Blutprobe genommen hatte, stand sie jedoch nicht merkbar unter dem Einfluss berauschender Mittel.

Deshalb rief die Österreicherin das Verwaltungsgericht Sigmaringen in Deutschland an, um gegen die deutsche Verwaltungsentscheidung vorzugehen, mit der ihr das Recht abgesprochen wurde, von ihrem österreichischen Führerschein in Deutschland Gebrauch zu machen. Ihrer Ansicht nach waren nur die österreichischen Behörden für die Beantwortung der Frage zuständig, ob sie noch zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet war. In diesem Zusammenhang fragt das Verwaltungsgericht den Gerichtshof, ob die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, wie sie sich aus der Richtlinie 2006/126 über den Führerschein ergibt, der streitigen Entscheidung entgegensteht.

EuGH: Urteil in der Rechtssache C-260/13

In seinem Urteil (Az. C-260/13) antwortet der Gerichtshof, dass die Richtlinie über den Führerschein einen Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, nicht daran hindert, die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins wegen einer Zuwiderhandlung seines Inhabers abzulehnen, die in diesem Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattgefunden hat und die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats geeignet ist, die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen herbeizuführen.

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Mitgliedstaat, der es ablehnt, die Gültigkeit eines Führerscheins in einer Situation wie der in Rede stehenden anzuerkennen, dafür zuständig ist, die Bedingungen festzulegen, die der Inhaber dieses Führerscheins erfüllen muss, um das Recht wiederzuerlangen, in seinem Hoheitsgebiet zu fahren.

Kein unbegrenzt verwehrtes Recht

Allerdings darf dieses Recht nicht unbegrenzt verwehrt werden, und die Bedingungen für seine Wiedererlangung müssten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.

Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass nach den Angaben der deutschen Regierung, selbst wenn kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorliegt, das Recht, in Deutschland von einem in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Führerschein Gebrauch zu machen, vollständig wiedererlangt wird, wenn nach Ablauf einer bestimmten Frist (nämlich fünf Jahren im vorliegenden Fall) die Eintragung des Eignungsmangels aus dem deutschen Fahreignungsregister getilgt worden ist. Nach Ablauf dieser Frist kann sie erneut von ihrem Führerschein in Deutschland Gebrauch machen, ohne ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegen zu müssen.

Wirksames Präventionsmittel

In Anbetracht dieser Angaben, deren Überprüfung Sache des Verwaltungsgerichts Sigmaringen ist, stellt der Gerichtshof fest, dass die deutschen Bestimmungen der Anerkennung des Führerscheins offenbar nicht unbegrenzt entgegenstehen. Außerdem erscheint die Tatsache, dass die Wiedererlangung des Rechts, in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen, durch  Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (dessen Erstellung den Nachweis der Abstinenz von jeglichem Konsum berauschender Mittel während der Dauer eines Jahres voraussetzt) oder vom Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren abhängig gemacht wird, nach Ansicht des Gerichtshofs als ein wirksames und zum Ziel der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr im Verhältnis stehendes Präventionsmittel.

Gericht:
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 23.04.2015 - C-260/13

Gekürzte Pressemitteilung des EuGH
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