Bei Unfällen auf dem Standstreifen einer Autobahn haftet üblicherweise der Fahrer des liegengebliebenen Fahrzeugs. Wenn das andere unfallbeteiligte Fahrzeug aber ohne erkennbaren Grund in einer Breite von ca. 0,7 - 0,95 m den Standstreifen befährt, ist der Anscheinsbeweis jedenfalls erschüttert.

Begeht also der andere Fahrer einen Fahrfehler, kann der Anscheinsbeweis so weit erschüttert sein, dass der Fahrzeughalter des liegengebliebenen Wagens nicht haften muss, so die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mit Verweis auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg (Az. 1 U 2572/13).

Der Sachverhalt

Der Autofahrer hatte in der Nacht seinen Pkw komplett auf dem Standstreifen abgestellt. Er hatte aber keinen Warnblinker gesetzt und auch kein Warndreieck aufgestellt. Ein vorbeifahrender Lkw-Fahrer fuhr etwa 70 bis 95 Zentimeter über die Autobahnbegrenzung auf den Standstreifen, sodass es zum Unfall kam. Der Halter des Lkw wollte seinen Schaden in Höhe von rund 35.000 Euro vom Halter des Autos ersetzt bekommen. Nachdem er bereits in der ersten Instanz gescheitert war, war er auch vor dem Oberlandesgericht erfolglos.

Aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg (1 U 2572/13)

Zwar würde der Beweis des ersten Anscheins zunächst eine Haftung des ungesichert abgestellten Fahrzeuges ergeben. Unstreitig sei jedoch, dass das Auto komplett auf dem Standstreifen gestanden habe und nicht auf die Fahrbahn hinausragte. Außerdem habe der Lkw-Fahrer einen Fahrfehler begangen, indem er über die Seitenbegrenzung gefahren sei.

Aus dem Beschluss:

[...] Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes spricht bei unterlassenen Sicherungsmaßnahmen nach § 15 StVO allerdings ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die unterlassene Sicherungsmaßnahme für den Zusammenstoß ursächlich war (BGH v. 15.12.1970 VI ZR 116/69 = NJW 1971, 431; v. 17.10.2000 VI ZR 313/99 = NJW 2001, 149; ebenso OLG Stuttgart v. 14.2.1990 4 U 204/89 = VersR 1992, 69; OLG Düsseldorf v. 25.5.1976 12 U 123/75 = DAR 1977, 186; Brandenburg. OLG v. 6.9.2007 12 U 70/07). Es kann dahinstehen, ob dies auch gilt, wenn sich das liegen gebliebene Fahrzeug - wie im vorliegenden Fall - vollständig auf der Standspur befunden hat. Jedenfalls ist der Anscheinsbeweis erschüttert, weil die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs besteht. Der Pkw befand sich nicht auf der Fahrbahn, sondern stand vollständig auf der Standspur und damit außerhalb der eigentlichen Fahrbahn. Er war nicht vollständig unbeleuchtet. [...]

[...] Grundsätzlich wird beim Auffahren auf ein liegen gebliebenes Fahrzeug zwar eine Schadensteilung vorzunehmen sein, wobei den Halter des defekten Fahrzeuges die überwiegende Haftung treffen wird, wenn das Fahrzeug noch in die Fahrbahn ragt und ungesichert oder unbeleuchtet ist (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 13. Aufl. Rn. 94, 95). Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall aber dadurch, dass sich der Pkw nicht mehr auf der Fahrspur befand und auch nicht in sie hineinragte; vielmehr hätte der Zeuge K. die Standspur nicht befahren dürfen, so dass von ihm die eigentliche Gefahr ausging.[...]

Der Fahrfehler des LKW-Fahrer wiege so schwer, dass die Haftung des Beklagten vollkommen zurücktrete und der Lkw-Fahrer alleine haften müsse. Er bleibt also auf seinem Schaden sitzen.

Gericht:
Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 16.07.2014 - 1 U 2572/13

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