Wenn ein dreister Zeitgenosse den sicher geglaubten Parkplatz vor der Nase wegschnappt oder der Hintermann wie verrückt drängelt, erhebt sich bei manchen der Stinkefinger, der Wischer wird gezeigt oder verbal geschimpft. Ein Beitrag über die rechtliche Situation und Urteile dazu.

Der heutige Verkehrsgerichtstag in Goslar nimmt aggressive Autofahrer ins Visier, denn die Aggressivität nehme zu, sagen Experten. Wenn also ein dreister Zeitgenosse den sicher geglaubten Parkplatz vor der Nase wegschnappt oder der Hintermann wie verrückt drängelt - eine Regel im Straßenverkehr gilt immer: Nur nicht provozieren lassen! Wer seinem Ärger über rücksichtslose Verkehrsteilnehmer dann doch mit eindeutigen Gesten Luft macht, risikiert selbst auch saftige Geldstrafen. Was rechtlich dahinter steht und wie teuer das beliebte Vogelzeigen oder der ausgestreckte Mittelfinger werden können, sagen ARAG Experten.

Beleidigung

Juristisch kann es sich bei Vogel, Stinkefinger oder der etwas altmodischen rausgestreckten Zunge um eine Beleidigung und damit um eine Straftat nach dem Strafgesetzbuch (StGB) handeln. Sie wird als vorsätzliche Verletzung der Ehre einer Person durch Kundgebung der Missachtung oder Nichtachtung definiert. Gemäß § 185 StGB kann eine Beleidigung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe belegt werden. Bei tätlichen Beleidigungen kann es nach dem Gesetz sogar zu Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren kommen. Wird eine Beleidigung auf der Stelle erwidert ("Selber Idiot!"), kann der Richter laut § 199 StGB beide oder einen Beteiligten für straffrei erklären.

Strafen

Für Beleidigungen im Straßenverkehr werden üblicherweise Geldstrafen verhängt. Da es hier aber keinen einheitlichen Strafenkatalog gibt, variiert das Strafmaß. Dabei spielen vor allem die Tatumstände - Zusammenhang, Tonfall, Person des Beleidigten - eine Rolle; unter Umständen auch das Gericht, vor dem verhandelt wird. Die Höhe der Geldstrafe wird in Tagessätzen angegeben. Der Tagessatz ist von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters abhängig und ergibt sich in der Regel aus seinem monatlichen Nettoeinkommen, das durch 30 geteilt wird. Laut Gesetz ist der Tagessatz jedoch nach oben hin auf 30.000 Euro beschränkt (vgl. § 40 Abs. 2 StGB).

Was kostet ein "Vogel zeigen"?

Meist werden für eine Beleidigung 10 bis 30 Tagessätze verhängt. So kann beispielsweise das Zeigen eines Vogels 20 bis 30 Tagessätze kosten. Bei einem angenommenen monatlichen Nettoeinkommen von 1.500 Euro wären damit 1.000 bis 1.500 Euro fällig. Die rausgestreckte Zunge kommt den Täter mit durchschnittlich 150 Euro eher günstig. Für die Scheibenwischergeste waren schon mal 350 Euro zu zahlen und das aus Daumen und Zeigefinger gebildete A kann bis zu 750 Euro kosten. Auch indirekte Beleidigungen - "Am liebsten würde ich sie jetzt A...loch nennen." - werden von den Gerichten als Straftat geahndet. Sich mit der Hand die Stirn schlagen, sich die Hand vor die Augen halten oder den Kopf angewidert wegdrehen sind dagegen Gesten, die in der Rechtsprechung bislang nicht als beleidigend bewertet wurden und daher straffrei blieben. Umstritten ist der so genannte Doppelvogel: Dabei wird mit beiden Zeigefingern an beide Schläfen getippt. Nach Meinung der Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts ist diese Geste keine Ehrverletzung (OLG Düsseldorf, Az.: 5 Ss 383/95-21). Ein anderes Gericht sah im Doppelvogel indes sehr wohl eine Beleidigung, die mit 40 Tagessätzen geahndet wurde.

Beleidigung der Staatsgewalt

Einen besonderen Straftatbestand "Beamtenbeleidigung" gibt es nicht. Dennoch kann es richtig teuer werden, wenn sich die Beleidigung gegen Polizisten oder Politessen richtet. Da sie die Staatsgewalt verkörpern, wird in diesen Fällen selten ein Auge zugedrückt. Wer einem Ordnungshüter den gestreckten Mittelfinger zeigt, kann mit bis zu 4.000 Euro bestraft werden und die rausgesteckte Zunge kann sich auf 300 Euro verteuern. Gut zu wissen: Eine Beleidigung liegt auch dann vor, wenn sich der Stinkefinger gegen das Objektiv einer Videoüberwachungskamera richtet. Laut Bayerischem Obersten Landesgericht (Bay ObLG, Az.: 5 St RR30/2000) wird dadurch eine so genannte befasste Amtsperson beleidigt, nämlich der diensttuende Beamte, der hinter dem Monitor sitzt. 40 Tagessätze sind dafür durchaus einzukalkulieren.

Fahrverbot und Punkte

Mit Strafbefehl und Geldstrafe ist die Beleidigung aber noch längst nicht vom Tisch. Denn der Richter kann bei einer Verurteilung wegen einer Beleidigung im Straßenverkehr grundsätzlich auch ein Fahrverbot als Nebenstrafe aussprechen. Außerdem wird der Strafbefehl bis zur Neuregelung 2013 dem Verkehrszentralregister (VZR) in Flensburg mitgeteilt. Das VZR muss nämlich noch rechtskräftige Entscheidungen von Strafgerichten speichern, wenn diese wegen einer rechtswidrigen Tat eine Strafe verhängen, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wurde. Neben der Eintragung der Strafe werden dann fünf Punkte fällig. Mit der angestrebten Neuregelung des VZR in 2013 sollen dann nur noch sicherheitsrelevante Verkehrsverstöße gespeichert und mit Punkten bestraft werden.

Praxistipp

Beleidigung ist ein so genanntes Antragsdelikt (§ 194 StGB), d.h. es wird nur verfolgt, wenn fristgemäß Strafantrag gestellt wird. Allerdings steht gerade bei Beleidigungen oft Aussage gegen Aussage, so dass das Verfahren vom Gericht häufig eingestellt wird. Wer sich also in seiner Ehre verletzt fühlt und seinen Kontrahenten anzeigt, sollte vorher gut abwägen, ob sich der Aufwand lohnt. Denn der Gang vor Gericht kostet immer Zeit und Nerven. Wie die Sache aber letztendlich ausgeht, ist oft ungewiss.

Ein Beitrag der ARAG SE

Kommentare:
Der Artikel zeigt nicht gerade konsequent (aber richtigerweise), dass sich das Strafmaß nach persönlichen Verhältnissen und Tagessätzen richtet. Danach folgt plötzlich eine Latte von Beispielen wo konkrete Beträge genannt werden. Hier wäre eine Tagessatzaufklärung sinnvoller gewesen. Eine rausgestreckte Zunge kann bei einem Nettoeinkommen von 5000 Euro, ohne Kinder, ohne Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehepartner dann auch schonmal über 1500 Euro kosten, und das bei nur 10 Tagessätzen.

Wobei zu sagen ist, dass der überwiegende Teil der Vergehen in der Praxis wohl durch Strafbefehl oder Einstellung erledigt wird.
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