Ein Rechtsanwalt hat im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ein Akteneinsichtsrecht auch in die Lebensakte des Geschwindigkeitsmessgeräts und kann nicht auf die Beiziehung der Unterlagen im gerichtlichen Verfahren verwiesen werden.

Der Sachverhalt

Ein klassischer Angriffspunkt der Verteidigung ist von jeher die Behauptung, an einem Geschwindigkeitsmessgerät sei trotz Eichung eine Reparatur vorgenommen worden. Diese Behauptung oder ihre Widerlegung lässt sich nur anhand der sogenannten Lebensakte des Geräts nachweisen, die indessen bei Verkehrsordnungswidrigkeitsvorwürfen, die eine behauptete Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand haben, bislang nicht Gegenstand der Verfahrensakte ist und folglich immer zeitaufwendig angefordert werden muss.

Ein Rechtsanwalt forderte für seinen Mandanten die so genannte "Lebensakte" eines bestimmten Geschwindigkeits-Messgerätes bei der Verkehrsbehörde an. Nur damit - so sein Antrag - können er seine auf Grund konkreter Hinweise nahe liegende Vermutung belegen, an dem Blitzer sei nach der Eichung eine Reparatur vorgenommen worden, womit der seinem Mandanten unterstellte Verkehrsverstoß möglicherweise eine Fehlmessung wäre.

Das verweigterte jedoch die Behörde. Eine derart tiefgehende Überprüfung der Messapparatur sei im gegenwärtigen Stadium des Bußgeldverfahrens üblicherweise nicht Gegenstand der Verfahrensakte und folglich erst, wenn überhaupt, mit großer zeitlicher Verspätung möglich - in der Regel frühestens zum Einspruch vor Gericht.

Die Entscheidung

Eine Verwaltungsbehörde ist nicht berechtigt, die geforderte Herausgabe der Akten unter Hinweis auf ein zukünftiges gerichtliches Verfahren hinauszuzögern oder gar prinzipiell zu verweigern.

Jede Möglichkeit einer Verfahrenseinflussnahme durch den Bürger wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt, könnte er nicht die Erwägungen der Behörde, die eine bestimmte Entscheidung bewirkt haben, an Hand der Aktenführung genau nachvollziehen und gegebenenfalls korrigieren, erklärt die Deutsche Anwaltshotline.

[...] Das Recht auf Akteneinsicht ist ein zentraler Bestandteil des verfassungsrechtlich garantierten Rechts eines Betroffenen auf rechtliches Gehör in einem Verfahren (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 18,399 ff.) mit dem überhaupt der Anspruch eines Betroffenen gegenüber der strukturell überlegenen Verwaltung auf Einhaltung eines fairen Verfahrensablaufs materiell verwirklicht werden kann. [...]

Gericht:
Amtsgericht Erfurt, Beschluss vom 25.03.2010 - 64 OWi 624/10

Hinweis:
Der Erhalt der Lebensakte eines Geschwindigkeitsmessgerätes stellt in der Regel eine große Hürde dar. Oftmals bekommt nur der Sachverständige die Lebensakte zur Überprüfung, ob z.b. eine Reparatur am Messgerät stattgefunden hat. Dies würde eine erneute Eichung des Messgeräts nach sich ziehen.

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