Die Aufzeichnungen von Identkameras bleiben auch bei lebhaften Verkehrsverhältnissen verdachtsbezogen. Eine wegen eines ersten Verdachtsfalles noch nicht beendete Aufzeichnung werde allein wegen des zweiten Signals der Selektionskamera und damit wegen eines konkret gegen das zweite Fahrzeug gerichteten Verdachts fortgesetzt.

Der Sachverhalt


In einer Grundsatzentscheidung hat sich das Thüringer Oberlandesgericht (THOLG) bereits Anfang des Jahres (Beschluss v. 06.01.2010; Az.: 1 Ss 291/09) mit der Problematik befasst und entschieden, Videoaufzeichnungen oder Fotoaufnahmen seien nur dann verfasssungswidrig erhobene (in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifende) und deshalb unzulässige (verbotene) Beweismittel, wenn kein "konkreter Anfangsverdacht"  für einen Verkehrsverstoß vorgelegen habe.

Gemessen hieran zieht auch der Einsatz des Messsystems VKS auf der BAB 71 in der Nähe des Tunnels "Alte Burg" kein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot nach sich, wie der Bußgeldsenat des THOLG kürzlich entschieden hat.

Zwar hatte die mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43 km/h (123 km/h statt der erlaubten 80 km/h) festgestellte Autofahrerin das Glück, dass in ihrem speziellen Fall das Bußgeldverfahren wegen des Verkehrshindernisses der Verfolgungsverjährung eingestellt wurde; in der Sache wäre die Geschwindigkeitsmessung aber - wie der Senat klargestellt hat - nicht zu beanstanden gewesen.

Funktionsweise der Messanlage

Die stationäre Abstands- und Geschwindigkeitsmessanlage VKS arbeitete zum Tatzeitpunkt im April 2009 mit einer Vorselektion durch einen Videoanalyseprozess. Bei der Vorselektion wird der Verkehrsfluss innerhalb einer Strecke von 250 m durch eine Kamera beobachtet, die aber weder (dauerhaft) aufzeichnet, noch Bilder fertigt, die eine Identifikation von Fahrer oder Kennzeichen erlauben. Als "elektronisches Auge" registriert die Kamera anhand einer Weg-Zeit-Berechnung nur die Über- bzw. Unterschreitung der Geschwindigkeits- oder Abstandsgrenzwerte im Verkehrsfluss durch einzelne Fahrzeug. Hat sie so einen Verdachtsfall registriert, löst die Selektionskamera durch ein Signal automatisch eine Videoaufzeichnung zur Feststellung des Verstoßes und Identifizierung von Fahrzeug und Fahrer aus; und zwar durch eine Tat- und zwei Identkameras, die im weiteren Streckenverlauf (hinter der Selektionskamera) an einer Schilderbrücke angebracht sind. Die Aufnahmen der Tat- und Identkameras werden auf einem Datenträger gespeichert und (später) von speziell geschulten Beamten ausgewertet; wenn sich der Verdacht auf einen Verkehrsverstoß nicht bestätigt, werden sie gelöscht.

Bei dieser Funktionsweise - so heißt es in der aktuellen Entscheidung des Bußgeldsenats - "begegnet die Verwertung der mittels des Messsystems gewonnenen Videosequenzen im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung keinen Bedenken."

Selektionskamera bei hohem Verkehrsaufkommen

Nicht geteilt hat der Senat die Auffassung des Amtsgerichts, ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot bestünde (allein) deshalb, weil die Selektionskamera bei hohem Verkehrsaufkommen so viele Verdachtsfälle registriert und deshalb in so schneller Folge Auslösungssignale an die Tat- und Identkameras sendet, dass diese ununterbrochen aufzeichnen; den Freispruch des Amtsgerichts hat der Senat auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft nicht bestätigt.

Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass die Aufzeichnungen der Tat- und Identkameras auch bei lebhaften Verkehrsverhältnissen verdachtsbezogen bleiben. Eine wegen eines ersten Verdachtsfalles noch nicht beendete Aufzeichnung werde allein wegen des zweiten Signals der Selektionskamera und damit wegen eines konkret gegen das zweite Fahrzeug gerichteten Verdachts fortgesetzt.

Vorinstanz:
Amtsgericht Arnstadt, Beschluss vom 15.04.2010, Az.: 992 Js 202445/09 - 2 OWi

Gericht:
Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 29.10.2010, Az.: 1 Ss 45/10 (rechtskräftig)

Querverweise:
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Thüringer Oberlandesgericht
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