Die Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO verstößt gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot. Das entschied das Oberlandesgericht Oldenburg.

Der Sachverhalt

Das OLG Oldenburg befasste sich mit der Frage, wann eine Autobereifung eine geeignete Winterbereifung ist und damit, ob Sommerreifen auch für den Winter geeignet sein könnten. Ein Autofahrer befuhr mit seinem PKW im November 2008 mittags eine innerörtliche Straße in Bohmte. Sein Fahrzeug war mit Sommerreifen ausgestattet. Er überfuhr eine Eisfläche und kam ins Rutschen. Er schlitterte in ein an der Straße befindliches Schaufenster eines Geschäftes. Das Amtsgericht Osnabrück verurteilte ihn zu einer Geldbuße von 85,- € wegen einer Ordnungswidrigkeit. Er sei mit nicht angepasster Geschwindigkeit und einer nicht den Wetterverhältnisse angepassten Bereifung gefahren. Da sich Eis auf der Straße befunden habe, hätte er mit Winterreifen fahren müssen. Der betroffene Autofahrer vertrat die Auffassung, der Unfall hätte sich auch mit Winterreifen ereignen können und legte Beschwerde vor dem Oberlandesgericht ein.

Die Entscheidung

Der für Bußgeldsachen zuständige Senat des Oberlandesgerichts entschied, dass der entsprechende Ordnungswidrigkeitentatbestand in der Straßenverkehrsordnung über die Pflicht zu einer den Wetterverhältnissen angepassten Bereifung in seiner konkreten Ausgestaltung verfassungswidrig ist.

§ 2 Absatz 3a Satz 1 und 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt:

Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Winterbereifung und Frostsschutzmittel in der Scheibenwaschanlage. § 49 Absatz 1 Ziffer 2 StVO bestimmt, dass wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Vorschrift über "die Straßenbenutzung durch Fahrzeuge nach § 2" handelt, eine Ordnungswidrigkeit begeht, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann.

Der Senat entschied, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot verstoße. Nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz sei der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit so konkret zu umschreiben, dass der Anwendungsbereich für den Einzelnen erkennbar sei oder sich durch Auslegung ermitteln lasse. Dies sei bei der betroffenen Vorschrift jedoch nicht der Fall.

Weder gesetzlichen noch technischen Vorschriften sei zu entnehmen, welche Eigenschaften Reifen für bestimmte Wetterverhältnisse haben müssen. Das gelte auch für Winterreifen. Der Gesetzgeber habe gerade keine generelle Winterreifenpflicht für die Wintermonate geregelt. Ungeklärt sei insbesondere, ob auch Sommerreifen für winterliche Witterungsverhältnisse im Sinne der Vorschrift geeignet sein können. Sogenannte Sommerreifen würden von vornherein kaum auf Schnee- und Glättetauglichkeit geprüft. Bei einem Winterreifentest im Jahr 2005 seien nur zwei Sommerreifen getestet worden, die sich beim Fahren auf Eis sogar als geeignet erwiesen hätten.

Ungeeignete Bereifung nicht eindeutig erkennbar


Für den Bürger sei daher nicht eindeutig erkennbar, welche Reifen als "ungeeignete Bereifung bei winterlichen Wetterverhältnissen" anzusehen seien. Diese Unklarheit hätte der Gesetzgeber durch eine klare Anordnung vermeiden können. Denkbar sei beispielsweise eine klare Anordnung von Winterreifen bei "Wetterverhältnissen, bei denen Eis und/oder Schnee möglich sind".

Der Betroffene Autofahrer ging im Übrigen nicht "straffrei" aus.
Wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit wurde das Bußgeld auf einen Betrag von 50,- € reduziert.

Risiko haftungs- und versicherungsrechtlicher Nachteile bleibt bestehen

Durch diese Entscheidung wird nicht in Frage gestellt, dass bei winterlichen Temperaturen, insbesondere aber bei Schnee und Eis, M+S Reifen oder Reifen mit Schneeflockensymbol benutzt werden sollten, um Unfälle möglichst zu vermeiden. Wer sich anders verhält, riskiert nicht nur haftungs- und versicherungsrechtliche Nachteile, ihm droht darüber hinaus - vor allem wenn andere bei einem Verkehrsunfall verletzt werden - weiter die Verfolgung wegen einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit. Das Fahren mit Sommerreifen im Winter, das zu keiner konkreten Verkehrsgefährdung führt, bleibt aber sanktionslos.

Gericht:
OLG Oldenburg, 09.07.2010 - 2 SsRs 220/09    

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