Aufgrund eines Massengentests wurden bei zwei DNA-Proben starke Ähnlichkeiten zum Tätermaterial festgestellt. Es waren Verwandte des Täters. Aufgrund dieses "Beinahetreffers" erwirkte die Polizei einen Gerichtsbeschluss für eine DNA-Probe des Angeklagten, der als Minderjähriger nicht in das Raster des Massengentests fiel.

Dieses Vorgehen hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zwar kritisiert. Den DNA-Treffer mit einer Übereinstimmungswahrscheinlichkeit von 1 zu 1,3 Trillionen habe das Landgericht aber trotzdem bei seiner Entscheidung berücksichtigen dürfen, weil bislang die Rechtslage zum Umgang mit "Beinahetreffern" ungeklärt gewesen sei und die effektive Strafverfolgung Vorrang habe.

Der Sachverhalt

Der Angeklagte hatte im Juli 2010 früh morgens in Dörpen als damals 16-Jähriger eine Fußgängerin zu Boden gerissen, massiv mit Fäusten geschlagen und anschließend vergewaltigt. Zu dieser Überzeugung war das Landgericht Osnabrück nach insgesamt 17 Verhandlungstagen und der Vernehmung von 42 Zeugen und 4 Sachverständigen gelangt. Die Jugendkammer hat die Verurteilung im Wesentlichen darauf gestützt, dass mehrere DNA-Spuren des Angeklagten an Kleidungsstücken des Opfers festgestellt werden konnten.

Im Rahmen eines Reihengentests von 2400 erwachsenen Männern aus der näheren Region wurde bei 2 Proben eine starke, aber keine volle Ähnlichkeit mit dem Tätermaterial festgestellt. Nach einer Entanonymisierung dieser beiden Proben durch die Polizei hat sich herausgestellt, dass es sich bei diesen beiden Personen um Verwandte des Angeklagten handelte. Aufgrund dieses "Beinahetreffers" hat die Polizei einen Gerichtsbeschluss für eine DNA-Probe des Angeklagten erwirkt, der als Minderjähriger nicht in das Raster des Massengentests fiel.

Der Angeklagte hat im Revisionsverfahren neben anderen Beanstandungen mit einer Verfahrensrüge insbesondere geltend gemacht, die bei der molekulargenetischen Reihenuntersuchung festgestellten DNA-Identifizierungsmuster hätten nicht auf verwandtschaftliche Ähnlichkeiten abgeglichen und im weiteren Verfahren nicht gegen ihn verwertet werden dürfen.

Die Entscheidung

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat zunächst die von der Revision behaupteten Verfahrensfehler bei der Durchführung der DNA-Reihenuntersuchung verneint. Jedoch hätte die bei der Auswertung der Proben festgestellte mögliche verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Vater und dem Onkel des Angeklagten mit dem mutmaßlichen Täter nicht als verdachtsbegründend gegen den Angeklagten verwendet werden dürfen. Denn § 81h Abs. 1 StPO erlaubt den Abgleich von DNA-Identifizierungsmustern nur, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von einem der Teilnehmer der Reihenuntersuchung stammt.

Gleichwohl hat der Senat entschieden, dass die Übereinstimmung des DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten mit demjenigen der Tatspur vom Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung verwertet werden durfte. Zwar ist dieses Identifizierungsmuster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermittlungsrichterliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihenuntersuchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten. Indes führt dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwertungsverbot.

Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher völlig ungeklärt war und das Vorgehen der Ermittlungsbehörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden kann. Der Verfahrensverstoß wiegt daher nicht so schwer, dass demgegenüber die Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung hier zurücktreten müssten.

Gericht:
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.12.2012 - 3 StR 117/12

Vorinstanz:
Landgericht Osnabrück, Urteil vom 02.11.2011 3 KLs 10/11

Quellen:
BGH, PM Nr. Nr. 216/2012;
LG Osnabrück PM Nr. 65/12
Rechtsindex - Recht & Urteil