Verstößt die im SGB II für Unter-25-Jährige vorgesehene Minderung i. H. v. 100 % des maßgebenden Regelbedarfs bei einer ersten Pflichtverletzung gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum?

Der Sachverhalt

Der damals 23-jährige Kläger bezog bis Juli 2014 Leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV"). Das Jobcenter wies ihn einer Arbeitsgelegenheit zu, bei der er gegen eine Mehraufwandsentschädigung von 1,50 € in der Stunde an 20 Wochenstunden gebrauchte Möbeln aufbereiten sollte.

Nachdem der Kläger diese Arbeitsgelegenheit nicht wahrgenommen hatte, senkte das Jobcenter den Regelbedarf zunächst in den Monaten März bis Mai 2014 um 100 % ab und erbrachte lediglich Leistungen für Unterkunft und Heizung. Der Sanktionszeitraum wurde sodann im Widerspruchsverfahren durch das Jobcenter im Ermessenswege auf sechs Wochen vom 1. März bis 11. April 2014 verkürzt. Auf entsprechende Anträge hin wurden dem Kläger für den Sanktionszeitraum Gutscheine für Sachleistungen im Wert von insgesamt 300,00 € gewährt.

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, die Sanktionsregelung für Unter-25-Jährige (s. Anmerkung am Ende) sei verfassungswidrig. Sie stelle insbesondere einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) dar, da eine Ungleichbehandlung zwischen Über-25-Jährigen und Unter-25-Jährigen nicht gerechtfertigt sei.

Das Urteil des Sozialgerichts Leipzig (Az. S 24 AS 2264/14)

Das Sozialgericht Leipzig ist in seinem Urteil (Az. S 24 AS 2264/14) dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Die im Gesetz für Unter-25-Jährige vorgesehene Minderung i. H. v. 100 % des maßgebenden Regelbedarfs bei einer ersten Pflichtverletzung verstoße nicht gegen das aus Art. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) hergeleitete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.

Auch dieses Grundrecht  gewährleiste nämlich keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Erbringung von voraussetzungslosen Sozialleistungen. Der Schutz des Grundrechts sei im vorliegenden Zusammenhang insbesondere dadurch gewährleistet, dass der Sanktionszeitraum auf sechs Wochen beschränkt werden könne und eine Unterdeckung der physisch existentiellen Bedarfe aufgrund der Gewährung von Gutscheinen fast auszuschließen sei. Auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die schärfere Sanktion bei Unter-25-Jährigen sei geeignet, das gesetzgeberisch verfolgte Ziel zu fördern, Langzeitarbeitslosigkeit in dieser Personengruppe frühzeitig zu verhindern. Dabei habe der Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung der Effektivität des von der Sanktion ausgehenden Abschreckeffektes eine Einschätzungsprärogative. Deshalb und mangels einschlägiger wissenschaftlicher Analysen zur Wirkung von Sanktionen auf Unter-25-Jährige könne im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine mildere Sanktion die gleiche Wirkung erziele.

Rechtsgrundlagen zur Sanktionsregelung

Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte u. a. dann ihre Pflichten, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, eine zumutbare Arbeitsgelegenheit aufzunehmen. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mindert sich das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nicht nur wie bei den Über-25-Jährigen um 30%, sondern um 100% der Regelleistung (§ 31a Abs. 2 Satz1 SGB II). Die regelmäßig dreimonatige Dauer der Sanktion kann bei

Unter-25-Jährigen nach § 31b Absatz 1 Satz 4 SGB II unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzt werden. Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % des Regelbedarfs können auf Antrag ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen (Gutscheine) erbracht werden (§ 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II).

Gericht:
Sozialgericht Leipzig, Urteil vom 16.06.2015 - S 24 AS 2264/14

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