Beschluss: Die vollständige Anrechnung des Kindergeldes als leistungsminderndes Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II auf "Hartz IV-Leistungen" ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verletzt.

Der Sachverhalt

Der 1994 geborene Beschwerdeführer lebte mit seinen Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft nach dem sog. "Hartz IV-Gesetz" (SGB II) und bezog Sozialgeld. Das Kindergeld wurde - wie in § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II ausdrücklich angeordnet - in voller Höhe als leistungsminderndes Einkommen auf das Sozialgeld angerechnet.

Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass das Kindergeld nur zur Hälfte hätte angerechnet werden dürfen: Die nicht anzurechnende Hälfte entspreche dem Betrag, den der Gesetzgeber bei zu versteuerndem Einkommen als Steuervergünstigung in Form des Kinderfreibetrags gewähre und mit dem er dem Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf für das Kind Rechnung trage. Wenn bei "Hartz IV"-Empfängern dieser Kinderfreibetrag mangels zu versteuernden Einkommens nicht zum Tragen komme, sei dies dadurch auszugleichen, dass das Kindergeld zur Hälfte anrechnungsfrei bleibe. Andernfalls würden "Hartz IV-Empfänger" gegenüber anderen Kindergeldempfängern grundlos benachteiligt und hinsichtlich des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarfs würde das Existenzminimum unterschritten. Nach erfolgloser Klage auf Nachzahlung vor den Sozialgerichten hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Die Entscheidung

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die vollständige Anrechnung des Kindergeldes als leistungsminderndes Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II auf "Hartz IV-Leistungen" ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verletzt. Denn der Beschwerdeführer hat durch das Kindergeld und das gekürzte Sozialgeld im Ergebnis staatliche Leistungen in der gesetzlich bestimmten Höhe erhalten. Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums war es auch nicht geboten, das Kindergeld teilweise anrechnungsfrei zu stellen. Zwar trägt das Einkommensteuerrecht der Deckung des Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfs eines Kindes durch Kinderfreibeträge Rechnung. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verlangt aber keine Sozialleistungen, die den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf für Kinder in gleichem Maße berücksichtigen wie das Steuerrecht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 u.a.) zur Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen nach dem "Hartz IV-Gesetz" festgestellt.

Die volle Anrechnung des Kindergeldes wahrt den Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber, der bei zu versteuerndem Einkommen Steuervergünstigungen in Form von Kinderfreibeträgen gewährt, ist nicht verpflichtet, Sozialleistungen in vergleichbarer Höhe für Personen und deren Angehörige zu gewähren, die - wie im Fall des Beschwerdeführers - kein zu versteuerndes Einkommen erzielen. Auch sonst ist keine Ungleichbehandlung zu erkennen, da § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II hinsichtlich Zahlung und Anrechnung des Kindergeldes alle Kindergeldberechtigten und alle zu einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern gehörenden hilfebedürftigen Kinder gleich behandelt.

Gericht:
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. März 2010 - 1 BvR 3163/09

PM des Bundesverfassungsgericht
Ähnliche Urteile:

Härtefallregelung -  Die verfassungswidrigen Regelungen sind bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weiterhin bis zum 31. Dezember 2010 anwendbar und begründen keine höheren Regelleistungen für die Vergangenheit. Urteil lesen

Hartz-IV Empfänger können für Ihre Kinder keine Extragelder beantragen, wenn diese wachstumsbedingt neue Kleidung benötigen. Bekleidungsbedarf fällt regelmäßig bei allen Kleinkindern an und stellt deshalb keine besondere Härte dar. Urteil lesen

Hartz IV Empfänger haben keinen Anspruch darauf, die örtlichen Angemessenheitsgrenzen durch einen Umzug in eine andere Wohnung mit höheren - noch angemessenen - Kosten auszuschöpfen. Urteil lesen

Sozialrecht - Grundsätzlich haben Empfänger von Grundsicherungsleistungen nur Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung, wenn diese angemessen sind. Lediglich für eine Übergangszeit, in der Regel sechs Monate, werden zu hohe Unterkunftskosten übernommen, um dem Hilfebedürftigen Gelegenheit zu geben, sich eine preiswertere Wohnung zu suchen. Urteil lesen


Werbung
Werbung auf Rechtsindex.de