Ein Ausgleichsanspruch wegen großer Verspätung eines Fluges besteht auch bei Flügen mit Anschlussflügen in einen Drittstaat mit Zwischenlandung außerhalb der EU. Ein Wechsel der Flugmaschinen, die Gegenstand einer einzigen Buchung waren, sind ein einziger Flug mit Anschlussflügen anzusehen.

Der Sachverhalt

Frau W. buchte bei Royal Air Maroc einen Flug von Berlin (Deutschland) nach Agadir (Marokko) mit Zwischenlandung und Umsteigen in Casablanca (Marokko). Als sie sich in Casablanca am Flugsteig der Maschine nach Agadir einfand, verweigerte ihr Royal Air Maroc die Beförderung mit der Begründung, dass ihr Sitzplatz anderweitig vergeben worden sei.

Frau W. flog schließlich mit einer anderen Maschine der Royal Air Maroc und erreichte Agadir vier Stunden später als ursprünglich vorgesehen. Frau W. begehrt eine Ausgleichsleistung wegen dieser Verspätung. Royal Air Maroc lehnt eine Leistung jedoch ab, weil Frau W. keinen Ausgleichsanspruch nach der Unionsverordnung über die Rechte von Fluggästen1 habe.

Tatsächlich gilt diese Verordnung nicht für Flüge, die vollständig außerhalb der Europäischen Union erfolgen2. Da die Flughäfen von Casablanca und Agadir in Marokko liegen, hängt die Anwendbarkeit der Verordnung davon ob, ob die beiden Flüge (Berlin ‒ Casablanca und Casablanca ‒ Agadir), die Gegenstand einer einzigen Buchung waren, als ein einziger Flug (mit Anschlussflug) mit Abflugsort in einem Mitgliedstaat (Deutschland) anzusehen sind oder ob sie getrennt zu betrachten sind. In diesem Fall fiele der Flug von Casablanca nach Agadir nicht unter die Verordnung .  

Vor diesem Hintergrund ersucht das Landgericht Berlin ( Deutschland ), bei dem Frau W. Klage erhoben hat, den Gerichtshof um Auslegung der Verordnung. 

Die Entscheidung des EuGH

Mit seinem Urteil entscheidet der Gerichtshof, dass die Verordnung für eine Fluggastbeförderung gilt, die aufgrund einer einzigen Buchung erfolgt und zwischen dem Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats (Berlin) und der Ankunft auf einem Flughafen im Gebiet eines Drittstaats (Agadir) eine planmäßige Zwischenlandung außerhalb der Union (Casablanca) mit einem Wechsel des Fluggeräts umfasst. 

Nach den Ausführungen des Gerichtshofs geht aus der Verordnung und der Rechtsprechung hervor, dass zwei (oder mehr) Flüge, die wie im vorliegenden Fall Gegenstand einer einzigen Buchung waren, in Bezug auf den Ausgleichsanspruch von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Diese Flüge sind somit als ein und derselbe Flug mit Anschlussflügen anzusehen.  

Auf diese Einstufung wirkt sich nicht aus, wenn bei einem Flug mit Anschlussflügen das Fluggerät gewechselt wird. Die Verordnung enthält nämlich keine Bestimmungen, wonach die Einstufung als Flug mit Anschlussflügen davon abhängt, dass alle Flüge, die der Flug umfasst, mit demselben Fluggerät erfolgen.

Ein Beförderungsvorgang wie der im vorliegenden Fall ist demnach insgesamt als ein einziger Flug mit Anschlussflügen zu betrachten und unterliegt somit der Verordnung. 

Gericht:
EuGH, Urteil vom 31.05.2018, Rechtsache C-537/17

EuGH, PM 77/18
Rechtsindex - Recht & Urteile


1) Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs - und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1) . Nach dieser Verordnung können Fluggäste bei einer Annullierung oder einer Verspätung von mindestens drei Stunden bei der Ankunft Anspruch auf eine Ausgleichsleistung habe , die je nach Entfernung 250, 400 oder 600 Euro beträgt.

2) Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung gilt diese a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten, b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.