In den Gemeindesatzungen sind üblicherweise die Raum- und Streupflichten geregelt und in welchem Zeitraum man diese Pflichten nachkommen muss. Was ist aber, wenn ein Passant außerhalb dieses Zeitraumes zu Fall kommt und sich verletzt?

Aus dem Beschluss des OLG Koblenz (3 U 1261/14)

Die Verkehrssicherungspflicht verpflichtet grundsätzlich denjenigen, der eine Gefahrenlage schafft, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern1.

Der Verkehrssicherungspflichtige ist aber nicht gehalten, für alle denkbaren, entfernt liegenden Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge zu treffen. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Erforderlich sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren2, d.h. nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, solche Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßem oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen3.

Der Dritte ist aber nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst, ausgehend von der sich ihm konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann4.

Beweislast hat der Geschädigte

Grundsätzlich besteht eine Pflicht der Hauseigentümer, den vor ihrem Anwesen befindlichen Gehweg zu räumen und zu streuen (Bamberger/Roth-Spindler, Beck'scher-Online Kommentar zum BGB, 33 Edition, Stand 1. November 2013, § 823 Rn. 337). Dafür genügt, dass der Bürgersteig schnee- und eisfrei gehalten wird. Beweispflichtig für die Versäumung der Streupflicht ist grundsätzlich der Geschädigte. Dem Geschädigten kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem Verstoß gegen die Streupflicht grundsätzlich nicht die Beweislast für die Ursächlichkeit des Nichtstreuens für seinen Unfall abgenommen werden, sondern es kann ihm lediglich unter bestimmten Voraussetzungen eine Beweiserleichterung in Form des Anscheinsbeweises zugebilligt werden.

Sturz außerhalb der Räum- und Streupflicht

Bei Glatteisunfällen sind die Regeln über den Anscheinsbeweis anwendbar, wenn der Verletzte innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist. In einem solchen Fall spricht nach dem ersten Anschein eine Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu den Verletzungen gekommen wäre5, dass sich also in dem Unfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten. Die Regeln über den Anscheinsbeweis können aber keine Anwendung finden, wenn der Sturz auf dem Glatteis erst nach dem Ende der Streupflicht eingetreten ist. Ein solcher Sachverhalt entspricht nicht mehr einem typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist.

Gericht:
Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 13.02.2015 - 3 U 1261/14

1 (BGH, Urteil vom 12.11.1996 - VI ZR 270/95 - VersR 1997, 250; Urteil vom 15.07.2003 - VI ZR 155/02 - VersR 2003, 1319; OLG Celle Urteil vom 25.01.2007 - 8 U 161/06 - VersR 2008, 1553).
2 (BGH; Urteil vom Urteil vom 15.07.2003 - VI ZR 155/02 - NJW 2003, 1459; Urteil vom 16. 5. 2006 - VI ZR 189/05 - NJW 2006, 2326; Urteil vom 16.02.2006 - III ZR 68/05 - VersR 2006, 665)
3 (BGH, Urteil vom 21. Februar 1978 - VI ZR 202/76 - NJW 1978, 1629)
4 (OLG Koblenz, Hinweisverfügung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 4. Dezember 2009 - 2 U 565/09 - VersR 2011, 362, Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 15. Juni 2010 i.V.m. Zurückweisungsbeschluss vom 4. Oktober 2010 - 2 U 950/09 - VersR 2012, 374; OLG Hamm, Urteil vom 17. Dezember 2011 - 13 U 171/01 - VersR 2003, 605; Urteil vom 13. Januar 2006 - 9 U 143/05 - NJW-RR 2006, 1100; OLG Koblenz, Urteil vom 21. Juni 2012 - 2 U 271/11 - MDR 2012, 1035 f. ; Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 19. Januar 2011 - 2 U 468/10 - MDR 2011, 787; Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 vom 6. Dezember 2009 i.V.m. Zurückweisungsbeschluss vom 22. Januar 2010 - 2 U 904/09 - MDR 2010, 630)
5 (BGH Urteil vom 4. Oktober 1983 - VI ZR 98/82 - NJW-RR 1984, 432)

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