Unterlässt ein Notarzt die Rettungsbemühungen nach einer gewollten Medikamenten-Überdosis eines 84-jährigen Krebskranken, so handelt er rechtmäßig und kann nicht wegen einer möglichen Pflichtverletzung bestraft werden. Der wohlüberlegte Suizidwille des Krebskranken sei zu respektieren.

Das hat das Landgericht Deggendorf (Az. 1 Ks 4 Js 7438/11) entschieden und das Verhalten eines Notarztes als rechtmäßig gesehen, da eine Behandlung des Arztes dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten widersprochen hätte.

Der Sachverhalt

Nach einer Mitteilung der Deutschen Anwaltshotline, befand sich der 84 Jahre alte Mann im Endstadium einer schweren Krebserkrankung. Seine nur ein Jahr jüngere Frau war seit vielen Jahren bettlägerig und wurde von ihrem Mann aufopferungsvoll versorgt. Beide äußerten sich des Öfteren gegenüber Verwandten und Nachbarn, des Lebens überdrüssig zu sein und gemeinsam sterben zu wollen, bevor die Erkrankungen größere Leiden mit sich bringen. In einer Patientenverfügung hielt er fest, dass jegliche Reanimierungsmaßnahmen im Ernstfall unterlassen zu seien.

Schließlich kam es soweit, dass die Frau tot in ihrem Bett lag und ihr Ehemann ihre Hand haltend bewusstlos im Rollstuhl neben ihr saß. In unmittelbarer Nähe befanden sich mehrere leere Blister verschiedener Medikamente sowie 40 leere Ampullen einer Morphin-Injektionslösung. Auf einer Kommode waren mehrere Briefe, Urkunden sowie ein Testament bereitgelegt.

Der eintreffende Notarzt stellte fest, dass der bewusstlose Mann noch gerettet werden konnte. Jedoch untersagte der Sohn, ein Arzt mit eigener Praxis, jegliche Behandlung. Er bestätigte, dass sein Vater im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gehandelt hat und der Suizid sein freier Wille war. Es stellte sich heraus, dass das pflegebedürftige Ehepaar dafür seit Längerem Medikamente abzweigte.

Die Entscheidung des Landgerichts Deggendorf (Az. 1 Ks 4 Js 7438/11)

In diesem Zusammenhang aber lehnte das Landgericht Deggendorf ein Verfahren gegen den Notarzt ab. Ein Arzt sei nicht immer zu lebensrettenden Maßnahmen verpflichtet, sobald jemand wegen eines Suizidversuchs das Bewusstsein verliert. "Denn ein Rettungsversuch würde dem freien Willen des Patienten zuwiderlaufen", erklärt Rechtsanwalt Frank Böckhaus.

Die Landesrichter sind davon überzeugt, dass der Notarzt den Suizidwillen sorgfältig prüfte. Denn er machte klar, dass er bei einem jungen Patienten anders gehandelt hätte, da er dann von einer psychischen Ausnahmesituation ausgegangen wäre.

Aus dem Beschluss: [...] Soweit der Bundesgerichtshof in der - von der Staatsanwaltschaft im Aktenvermerk vom 31.05.2012 (Bl. 54 ff.) zur Beurteilung der Rechtslage zitierten - Entscheidung vom 04.07.1984 (sogen. "Peterle-Entscheidung", BGH St 32, 367 = NJW 1984, 2639 [BGH 04.07.1984 - 3 StR 96/84]) den behandelnden Arzt auch gegenüber einem freiverantwortlich handelnden Suizidenten zu lebensrettenden Maßnahmen verpflichtet sah, sobald dieser infolge Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft über das Geschehen verloren hatte, folgt dem die Kammer nicht. Nach Auffassung des Gerichts läuft diese rigide strafrechtliche Sichtweise dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten zuwider und ist spätestens seit Inkrafttreten des § 1901 a Abs. 2 und 3 BGB n.F. auch gesetzlich überholt. Ratio dieser Vorschrift ist es, jede freiverantwortliche Entscheidung des Betroffenen - unabhängig von Art und Stadium seiner Erkrankung - zu achten (so auch: Kutzer, ZRP 5/2012, S. 135 ff. (138)). Dabei strahlt diese Vorschrift aus dem Betreuungsrecht auch auf die im Strafrecht vorzunehmenden Wertungen - auch hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechtes eines Suizidenten - aus.

Auf dieser Basis ist in den Fällen eines freiverantwortlichen Suizides keinen Raum für eine strafrechtliche Sanktionierung von - nur im Hinblick darauf - unterlassenen Rettungsbemühungen. Die Kammer sieht im Vorgehen des Dr. A einen freiverantwortlichen "Bilanzsuizid", der auf einer rationalen Abwägung seiner Lebensumstände beruht. [...]

Gericht:
Landgericht Deggendorf, Beschluss vom 13.09.2013 - 1 Ks 4 Js 7438/11

Quelle: Deutsche Anwaltshotline
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