Ein Therapeut versuchte beim Begrüßen seine Patientin auf den Mund zu küssen, traf aber die Wange. Er behauptete, der Kussversuch habe einen therapeutischen Hintergrund und sei sogar therapeutisch geboten gewesen. Das Gericht sah dies als Schutzbehauptung und verurteilte den Therapeuten.

Der Sachverhalt

Eine 1962 geborene Hausfrau begab sich zu einem 75-jährigen Psychotherapeuten. Nach einigen Vorgesprächen hatte die Patientin im September 2007 ihre zweite Therapiestunde. Als die Patientin an der Haustüre klingelte, öffnete der Beschuldigte die Tür, zog die Patientin beim Händegeben zur Begrüßung an sich und versuchte, sie auf den Mund zu küssen. Die Patientin drehte schnell den Kopf zur Seite, so dass der Kuss auf ihre Wange traf.

Daraufhin äußerte der Therapeut: "Bravo, schnelle Reaktion." Die Patientin war mit dem Verhalten nicht einverstanden und beschimpfte den Therapeuten. Sie erklärte, er habe sich genauso wie ihr Vater verhalten. Damit er bringe alles durcheinander. Das dürfe sich ein Therapeut mit seiner Patientin nicht leisten, es gebe Regeln, die nicht überschritten werden dürften.

Der beschuldigte Therapeut versuchte daraufhin die Patientin damit zu beruhigen, dass sie doch gut reagiert habe und anderenfalls vielleicht nicht auf die Erinnerung mit ihrem Vater gestoßen wäre. Die Therapiestunde wurde dann regulär nach 50 Minuten beendet. Es wurde ein neuer Termin vereinbart, welchen aber die Patientin später telefonisch absagte.

Nach Angaben der Patientin, war sie nach dem Vorfall "wahnsinnig durcheinander". Sie sei wegen Schlafstörungen, Beklemmungen, Angstzuständen und psychosomatischen Beschwerden in die Behandlung gekommen. Nach dem Vorfall haben sich die Angstgefühle verstärkt. Die Patientin erstattete Anzeige bei der Psychotherapeutenkammer wegen sexueller Belästigung.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen (Az. 21 K 51/09.GI.B)

Das Verhalten des Beschuldigten stellt einen Verstoß gegen seine Berufspflichten als Psychologischer Psychotherapeut aus § 22 Heilberufsgesetz (HeilbG) dar. Nach dieser Vorschrift hat ein Psychologischer Psychotherapeut seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm in Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. In den Regelungen zur Berufsausübung geht hervor, dass sexuelle Kontakte zu Patientinnen und Patienten unzulässig sind. Ein Kuss auf den Mund falle unter den Begriff "sexuelle Kontakte zu Patientinnen und Patienten" im Sinne des § 13 Abs. 3 BO. Dies gilt auch für den entsprechenden Versuch, dabei ist die äußere Handlung in der Art und Form, wie die Patientin oder der Patient sie wahrzunehmen in der Lage ist, ausschlaggebend.

Küssen als therapeutischen Hintergrund sieht Gericht als Schutzbehauptung

Es kann vorliegend auch dahinstehen, ob das Vorbringen des Beschuldigten, der Kussversuch habe einen therapeutischen Hintergrund und sei sogar therapeutisch geboten gewesen, eine Schutzbehauptung darstellt. Selbst wenn man nämlich unterstellte, der Beschuldigte habe tatsächlich mit dem Kussversuch ein verhaltenstherapeutisches Konfrontationsverfahren anwenden wollen, könnte dies den tatbestandsmäßig vorliegenden Verstoß gegen § 13 Abs. 3 BO nicht rechtfertigen. Das Verfahren der Konfrontation im Rahmen verhaltenstherapeutischer Techniken wird zwar insbesondere in der Behandlung von Angststörungen, unter welchen die Patientin nach eigenen Angaben gelitten hat, angewendet. Allerdings wurden für die Durchführung konfrontativer Techniken allgemein akzeptierte Standards entwickelt, die in den gängigen Lehrbüchern beschrieben werden und deren Einhaltung insbesondere vor dem Hintergrund der Berufsordnung, insbesondere des § 13 Abs. 3 BO, unbedingt zu fordern ist.

Abstimmung mit dem Patienten unerlässlich

Insbesondere ist unerlässlich, die Forderung, dass alle Schritte mit dem Patienten oder der Patientin genau besprochen und von diesem oder dieser gebilligt werden, unbedingt einzuhalten. Dazu zählen sowohl die Reizauswahl (hier also der Kuss), der genaue Ablauf der Konfrontation, die Abbruchkriterien und die Verhaltensweise des Therapeuten.

Dem beschuldigten Therapeuten wird wegen Verstoßes gegen seine Berufspflichten ein Verweis erteilt und eine Geldbuße in Höhe von 3.500,-- € auferlegt.

Rechtsgrundlagen:
§ 22 HeilBerG HE

Gericht:
Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 21.06.2010 - 21 K 51/09.GI.B

VG Gießen
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