Ein Rechtsanwalt verstößt nicht zwingend gegen das Verbot der Werbung um Praxis (§ 43b BRAO), wenn er einen potentiellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs persönlich anschreibt und seine Dienste anbietet, so das Urteil des BGH.

Ein Verstoß liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Adressat einerseits durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird und er sich andererseits in einer Lage befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung hilfreich sein kann (Fortführung von BGH, Urteil vom 1. März 2001 - I ZR 300/98, BGHZ 147, 71, 80 - Anwaltswerbung II; BGH, Urteil vom 15. März 2001 - I ZR 337/98, WRP 2002, 71, 74 - Anwaltsrundschreiben)

Der Sachverhalt

Die Parteien vertreten als Rechtsanwälte Anleger einer in Insolvenz befindlichen Fondsgesellschaft. Deren Kommanditisten werden - teilweise schon im Klagewege - vom Insolvenzverwalter auf Rückzahlung von Ausschüttungen in Anspruch genommen. Der beklagte Rechtsanwalt versandte an zahlreiche von ihm nicht anwaltlich vertretene Kommanditisten der Fondsgesellschaft ein Schreiben und bot darin seine Dienste an. Die Schreiben erreichten auch Mandanten einer anderen Kanzlei. Der nunmehr klagende Anwalt ist der Ansicht, dass Schreiben sei eine gemäß § § 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 43b BRAO unzulässige Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall.

Die Entscheidung

Das Werbeschreiben ist nicht zu beanstanden. Mit dieser Entscheidung hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung geändert. In der Vergangenheit hatte der zuständige Senat betont, dass er eine Werbung um Aufträge bereits dann als unzulässig erachte, wenn der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nimmt, teilt die Bundesrechtsanwaltskammer mit. In der Rechtsprechung und Literatur wurden hingegen teilweise schon lange strengere Anforderungen an ein Werbeverbot gestellt: So sei eine Werbung um die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall nicht bereits dann unzulässig, wenn der Rechtsanwalt einen potentiellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs persönlich anspreche. Ein Verbot setzte vielmehr zusätzlich voraus, dass die Werbung in ihrer individuellen Ausgestaltung geeignet sei, das Schutzgut von § 43b BRAO konkret zu gefährden, mithin eine gemeinwohlschädliche Aufdringlichkeit vorliege, so die Bundesrechtsanwaltskammer.

Gemäß Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG setzen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts - und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um der Richtlinie bis 28. Dezember 2009 nachzukommen. Seit diesem Tag ist § 43b BRAO im Lichte des Wortlauts und des Zwecks des Art. 24 der Richtlinie 2006/123/EG auszulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 - C - 212/04).

Gemäß Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG sind absolute Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe untersagt. Gemäß Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2006/123/EG sind mit absoluten Verboten nicht solche gemeint, die sich auf den Inhalt der kommerziellen Kommunikation beziehen, sondern solche, die diese allgemein und für ganze Berufsgruppen in einer oder mehreren Formen untersagen, beispielsweise ein Verbot von Werbung in einem bestimmten Medium oder in einer Reihe von Medien. Daraus ergibt sich, dass ein Werbeverbot nur in Betracht kommt, wenn sich ein Verbotsgrund im Einzelfall aus der Form, aus dem Inhalt oder aus dem verwendeten Mittel der Werbung ergibt. Allein der Umstand, dass ein potentieller Mandant in Kenntnis von dessen konkretem Beratungsbedarf angesprochen wird, genügt diesen Anforderungen nicht.

Der BGH hat in seiner Entscheidung auch ausgeführt, dass ein Werbeverbot zum Schutze potentieller Mandanten vor Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit durch Belästigung, Nötigung und Überrumpelung gerechtfertigt sein könne. Aus der gesetzlichen Anordnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich ferner, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist. Dabei sind neben der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, der Würde oder der Integrität der Rechtsanwaltschaft auch Art und Grad der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch Form, Inhalt oder das verwendete Mittel der Werbung zu berücksichtigen.

Außerdem kommt es darauf an, ob und inwieweit die Interessen des Verbrauchers deshalb nicht beeinträchtigt sind, weil er sich in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung Nutzen bringen kann.

Gericht:
Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.11.2013 - I ZR 15/12

BRAK, BGH
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