Nach Urteil des OLG München ist der Boykottaufruf einer Verbraucherzentrale vom Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) gedeckt, wenn Verbraucher aufgefordert werden, die Banken von Abofallenbetreibern anzuschreiben, um eine Kontensperrung zu erreichen.

Der Sachverhalt

Die Antragstellerin bietet im Internet Dienstleistungen gegen Entgelt an. Die Webseiten sind so aufgebaut, dass die Kostenpflicht nicht sofort zu erkennen ist. Die Antragsgegnerin, eine Verbraucherzentrale, stuft diese Webseite als Abofalle ein. Die Verbraucherzentrale stellt auf ihrer Internetseite ein mehrseitiges Dokument mit der Bezeichnung "Übersicht Abofallen..." bereit, in welchem die Antragstellerin mit zwei früheren Kontoverbindungen genannt wird. Die Verbraucherzentrale bietet auch Informationen, um "Abofallenbetreibern das Handwerk zu legen", indem die Banken der Abofallenbetreibern mit folgendem Musterschreiben angeschrieben werden:

"Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe den Verdacht, dass über das Konto ... bei Ihrer Bank illegale Beträge fließen. Es geht um Abofallen. Ich appelliere an Sie, das Konto zu kündigen und das eingegangene Geld an die Absender zurück zu überweisen. 
Mit freundlichem Gruß"

Die Antragstellerin hat im Beschlussweg eine einstweilige Verfügung des Landgerichts erwirkt, mit welcher der Antragsgegnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt wurde, Dritte dazu aufzufordern, dass diese die Bank oder Sparkasse anschreiben, bei welcher die Antragstellerin ein Girokonto unterhält, und diese aufzufordern, dieses Girokonto zu kündigen und/oder eingegangenes Geld an die Absender zurück zu überweisen. Mit Urteil vom 20. März 2012 hat das Landgericht die einstweilige Verfügung bestätigt, weil es in dem Aufruf einen Eingriff in den Gewerbebetrieb der Antragstellerin gesehen hat, der auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit der Antragsgegnerin rechtswidrig sei. Hiergegen wendet sich die Verbraucherzentrale mit ihrer Berufung.

Die Entscheidung

Der in dem Aufruf liegende Eingriff in den Gewerbebetrieb der Antragstellerin stellt sich nicht als rechtswidrig dar.

Aus dem Urteil: [...] Es hängt danach von einer Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen ab, ob der Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gerechtfertigt ist, den eine auf die Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb gestützte Untersagung eines - mittelbaren oder unmittelbaren - Boykottaufrufs darstellt. Wesentlich sind zunächst die Motive und - damit verknüpft - das Ziel und der Zweck des Aufrufs. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden. [...]

Aus dem Urteil: [...] Die Antragsgegnerin verfolgt mit ihrem Aufruf nicht eigene wirtschaftliche Interessen, sondern wirtschaftliche und soziale Belange der Allgemeinheit. Denn sie wendet sich dagegen, dass nach ihrer Auffassung die Unachtsamkeit zahlreicher Internetnutzer bei der Inanspruchnahme vermeintlich kostenloser Internetangebote ausgenutzt wird, um Zahlungsansprüche gegen diese herzuleiten, und bringt zum Ausdruck, dass diesem - von ihr Abofallen genannten - Missstand nicht zuletzt durch Kündigung der Kontoverträge begegnet werden sollte, zu der die Verbraucher die Banken der Betreiber auffordern sollen. Es handelt sich damit um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, bei dem eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spricht (vgl. BVerfG NJW 2010, 2193 - Ausländerrückführung Tz. 24; BGH a. a. O. - Gen-Milch Tz. 31; jeweils m. w. N.). [...]

Rechtsgrundlagen:
Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 823 Abs 1 BGB, § 1004 BGB

Gericht:
Oberlandesgericht München, Urteil vom 15.11.2012 - 29 U 1481/12

OLG München
Rechtsindex - Recht & Urteil