Ein öffentlicher Arbeitgeber macht den gesetzlichen Chancenvorteil des schwerbehinderten Bewerbers zunichte, wenn er diesem zwar die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Aussicht stellt, gleichzeitig aber mitteilt, dessen Bewerbung habe nach der "Papierform" nur eine geringe Erfolgsaussicht.

Der Sachverhalt

Der beklagte Landkreis schrieb die Stelle eines/einer Projektmanagers/in aus. Mit Schreiben bewarb sich der Kläger um die Stelle. In seinem Bewerbungsschreiben führte er das abgeschlossene Studium und seine zuletzt ausgeübten Tätigkeiten an. Er wies zudem auf seine Eigenschaft als Schwerbehinderter hin.

Ein paar Wochen später erhielt der Kläger eine Mail, in der der Leiter des Personal- und Organisationsamtes folgendes mitteilt (gekürzte Darstellung):

[...] Als öffentlicher Arbeitgeber berücksichtigen wir Bewerbungen von Schwerbehinderten entsprechend den Zielen des Schwerbehindertenrechts, d.h. wir geben Schwerbehinderten auch die Gelegenheit sich persönlich vorzustellen.

Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie trotz der geringen Erfolgsaussichten ein Bewerbungsgespräch wünschen und die doch längere Anreise auf sich nehmen.

Das Gespräch würde dann voraussichtlich am 13.08.2013 stattfinden. Das genaue Datum und die Uhrzeit würden wir Ihnen noch mitteilen. [...]

Der Kläger reagierte auf die Mail nicht. Er erhielt eine zweite Mail mit dem Vorstellungstermin. In dieser wurde er darum gebeten, den Termin zu bestätigen. Weder die Mail bestätigte der Kläger, noch nahm er den Termin wahr.

Mit Schreiben machte der Kläger einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG geltend. Zur Begründung führte er aus, dass er durch die Formulierung in der Mail diskriminiert worden sei. Das angebotene Bewerbungsgespräch sei angesichts der bereits vorab mitgeteilten geringen Erfolgsaussichten der Bewerber reiner Förmelei gewesen. Mit seiner Klage hat der Kläger anfänglich eine Entschädigung in Höhe von EUR 6.440,83 geltend gemacht, später in Höhe von 2.164,00.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (1 Sa 13/14)

Der Kläger hat Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung.

Der amtliche Leitsatz

Gemäß § 82 Satz 2 und 3 SGB IX hat der öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich. Ein öffentlicher Arbeitgeber macht den gesetzlich intendierten Chancenvorteil des schwerbehinderten Bewerbers zunichte, wenn er diesem zwar die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Aussicht stellt, gleichzeitig aber dem schwerbehinderten Bewerber mitteilt, dessen Bewerbung habe nach der "Papierform" nur eine geringe Erfolgsaussicht, weshalb der schwerbehinderte Bewerber mitteilen möge, ob er das Vorstellungsgespräch wahrnehmen wolle. Eine solch "abschreckende" Einladung begründet gemäß § 22 AGG die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung.

Aus dem Urteil

[...] Der beklagte Landkreis hat den gesetzlich vorgesehenen Chancenvorteil des schwerbehinderten Bewerbers durch seine Vorgehensweise zunichte gemacht. Die Auslegung der Mail nach dem objektiven Empfängerhorizont ergibt, dass dem Kläger signalisiert werden sollte, seine Bewerbung habe nach den Bewerbungsunterlagen nur eine geringe Erfolgsaussicht. Er solle sich daher überlegen, ob er das Vorstellungsgespräch wahrnehmen wolle. Dahinter mag der aus Fürsorgegründen berechtigte Gedanke gestanden haben, der schwerbehinderte Bewerber solle keine lange Anreise für ein voraussichtlich erfolgloses Vorstellungsgespräch auf sich nehmen. Dem schwerbehinderten Bewerber wurde aber damit zugleich signalisiert, es sei aller Voraussicht nach aussichtslos, dass er den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch noch von seiner Eignung überzeugen könne. In der konkreten Situation handelte es sich bei der Mail entgegen der Auffassung des klagenden Landkreises nicht um eine neutrale Information über den Bewerberkreis; die Mail konnte aus der Sicht des schwerbehinderten Bewerbers nur als "abschreckende" Mitteilung verstanden werden. [...]

Das Gericht stellte fest, dass der Kläger einen wesentlichen Teil des Anforderungsprofils gar nicht erfüllt hat. Der beklagte Landkreis wäre daher berechtigt gewesen, den Kläger von vornherein aus dem Kreis der für die Stelle in Frage kommenden Bewerber auszunehmen. Die Höhe der Entschädigung wurde mit einem Bruttomonatsgehalt zutreffend bemessen.

Gericht:
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 - 1 Sa 13/14

LAG Ba-Wü,
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Update: Entschädigungshöhe ergänzt
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