Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Urteil entschieden, dass die Bundespolizei nicht berechtigt war, bei dem Kläger, einem in Kabul geborenen deutschen Staatsangehörigen mit dunkler Hautfarbe, im ICE eine verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchzuführen.

Der Sachverhalt

Wie Rechtsanwalt Sven Adam berichtet, hat der heute 30-jährige Kläger dunkle Hautfarbe und befand sich am 19.11.2013 im Rahmen einer Geschäftsreise in der ersten Klasse des ICE 377 von Berlin kommend auf dem Weg nach Freiburg. Zwischen Baden-Baden und Offenburg kontrollierten drei Bundespolizisten einzig den Kläger mit der Begründung, dass dieser sich im Grenzgebiet befände.

Nach der Vorlage des Bundespersonalausweises des Klägers führten die Beamten sodann zusätzlich einen im Ergebnis negativen Datenabgleich in den polizeilichen Datenbanken durch. Weitere Zugreisende im Waggon der ersten Klasse wurden nicht kontrolliert. Der Kläger erhob daraufhin vor dem VG Stuttgart die Klage gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der diskriminierenden Personenkontrolle, die nach der Wahrnehmung des Klägers einzig aufgrund dessen Hautfarbe erfolgte und damit Racial Profiling darstellte.

Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart

Die Bundespolizei ist grundsätzlich nicht berechtigt, im Grenzgebiet zu einem anderen SchengenStaat (hier: Frankreich) verdachtsunabhängige Personenkontrollen zur Verhinderung oder Unterbindung der unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet vorzunehmen, so das Urteil des VG Stuttgart (Urteil, Az. 1 K 5060/13).

Der Vorrang des Unionsrechts steht der Anwendung der im Bundespolizeigesetz für derartige Kontrollen enthaltenen Ermächtigungsgrundlage (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 des Bundespolizeigesetzes - BPolG) entgegen. Nach dem in allen Staaten des Schengen-Raums unmittelbar anwendbaren Schengener Grenzkodex, einer am 13. Oktober 2006 in Kraft getretenen Verordnung der EU, dürfen an den Binnengrenzen keine Personenkontrollen durchgeführt werden. Ebenfalls unzulässig sind Maßnahmen, die die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben. Polizeiliche Personenkontrollen auf der Grundlage des nationalen Rechts sind demgegenüber zulässig, wenn sie

  1. keine Grenzkontrollen zum Ziel haben,

  2. auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen,

  3. in einer Weise konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen unterscheidet, und

  4. auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt werden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits 2010 zur vergleichbaren Rechtslage in Frankreich entschieden, dass eine nationale Regelung, die den Polizeibehörden eine Befugnis zur Durchführung von verdachtsunabhängigen Identitätskontrollen im Grenzgebiet zu anderen Schengenstaaten einräumt, den erforderlichen Rahmen für die diesen Behörden eingeräumte Befugnis vorgeben muss, um insbesondere das Ermessen zu lenken, über das sie bei der tatsächlichen Handhabung der Befugnis verfügen. Dieser Rahmen muss gewährleisten, dass die tatsächliche Ausübung der Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben kann (EuGH, Urteil vom 22.06.2010 - Rs. C-188/10 und C-189/10 [Melki und Abdeli]). Diesen auch vom deutschen Gesetzgeber zu beachtenden Anforderungen genügt die vorliegend herangezogene Ermächtigungsgrundlage im Bundespolizeigesetz nicht. Es fehlt an verbindlichen Regelungen hinsichtlich Intensität und Häufigkeit der Kontrollen.

§ 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG könnte danach als Ermächtigungsgrundlage für verdachtsunabhängige Personenkontrollen nur dann herangezogen werden, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der Art. 23 ff. des Schengener Grenzkodex vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der betreffenden Binnengrenze einführt. Dies war zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Personenkontrolle im November 2013 nicht der Fall.

Frage zur Hautfarbe bleibt offen

Die Frage, ob möglicherweise die Hautfarbe des Klägers bei der Entscheidung, gerade ihn und nicht andere Mitreisende in dem betreffenden Waggon zu kontrollieren, eine Rolle gespielt hat, und wie dies rechtlich zu bewerten wäre, hat das Gericht offen gelassen.

Gericht:
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 22.10.2015 - 1 K 5060/13

VG Stuttgart, PM
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