Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart können Eltern ihre Kinder nicht vom Schulbesuch fernhalten, um aus religiös motivierten Gründen ihre Kinder zu Hause selbst zu unterrichten.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Urteil entschieden und die Klage von Eltern (Kläger), die Mitglieder einer freien Bibelgemeinde sind, gegen das vom Regierungspräsidium Stuttgart vertretene Land Baden-Württemberg wegen der Durchsetzung der Schulpflicht ihrer drei Kinder abgewiesen.

Der Sachverhalt

Die Kinder besuchen aus religiös motivierten Gründen (reformatorisch-baptistisch) keine Schule, sondern werden von ihren Eltern zu Hause unterrichtet. Zuletzt verpflichtete das Regierungspräsidium die Eltern ihre zwischen 1998 und 2001 geborenen Kinder an einer öffentlichen Schule oder an einer genehmigten Privatschule anzumelden und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 300,-- € je Kind für den Fall der Nichtbefolgung an.

Die Entscheidung

Die hiergegen von den Eltern erhobene Klage lehnte die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts ab, da die Durchsetzung der Schulpflicht rechtmäßig ist. Es gebe kein Wahlrecht für die Eltern dahingehend, ihre Kinder, anstatt einer schulischen Erziehung anzuvertrauen, in Heimunterricht zu erziehen (sog. Homeschooling), um ihnen ihre Glaubensüberzeugung zu vermitteln.

Es werden keine Grundrechte verletzt

Die im Schulgesetz normierte Schulpflicht habe ihre Legitimation im staatlichen Erziehungsauftrag und verletze weder die grundrechtlich geschützten Elternrechte noch die Grundrechte der betroffenen Kinder auf Glaubensfreiheit. Der staatliche Erziehungsauftrag mit der Pflicht zum Besuch einer Schule sei nicht nur auf die Vermittlung von Wissen gerichtet, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger und ihrer Teilhabe an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft.

Soziale Kompetenz, Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung könnten nach dem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Willen des Gesetzgebers insbesondere mit dem regelmäßigen Schulbesuch eingeübt werden. Soweit die Kläger sich darauf beriefen, ihre Kinder könnten die soziale Kompetenz im Rahmen ihrer Betätigung in Vereinen sowie im Umgang mit ihren Spielkameraden in gleicher Weise erwerben, so stehe dies der Regelmäßigkeit der Einübung im Rahmen eines Schulbesuchs nicht gleich.

Auch die Sozialkompetenz wird mit Schulbesuch gefördert

Gleichfalls nicht von Gewicht sei die Berufung der Kläger auf die Erfahrungen in anderen Ländern. Auch der Einwand, die Erziehung der Jugend u.a. in der Ehrfurcht vor Gott und im Geiste der christlichen Nächstenliebe sei in den öffentlichen Schulen nicht gewährleistet, sei unbeachtlich, denn den Klägern stehe es frei, ihre Kinder auf eine staatlich anerkannte christliche Schule zu schicken. Nichts anderes gelte, soweit die Kläger die in der Schule aus ihrer Sicht vorherrschende Gendererziehung bzw. die Erziehung im Sinne der Emanzipation sowie eine von christlicher Sexualethik freie Sexualerziehung bemängelten.

Die mit der Schulbesuchspflicht verbundenen Grundrechtseingriffe stünden in angemessenem Verhältnis zum staatlichen Erziehungsauftrag, denn hinter diesem stehe das Interesse der Allgemeinheit, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim zugelassen wird. Die Zulassung kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beantragt werden.

Gericht:
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 01.03.2012 - 12 K 718/11

VG Stuttgart, PM vom 24.04.2012
Rechtsindex
Ähnliche Urteile:

Ein Jugendamt darf eingreifen, wenn ein elfjähriger Junge nicht zur Schule geht und die Eltern die Schulunlust ihres Kindes akzeptieren. Das OLG Hamm hat den Eltern das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten entzogen und dieses dem zuständigen Jugendamt übertragen. Urteil lesen

Nach dem Willen der Eltern sollen ihre Kinder eine saudi-arabische Schule, die nach zwölfjährigem Schulbesuch zum saudi-arabischen Abitur führt, besuchen. Unterrichtet wird in arabischer Sprache. Deutsch ist eine obligatorische Fremdsprache. Bislang haben die Kinder noch keine deutsche Schule besucht. Ist damit die Schulpflicht erfüllt? Urteil lesen

Werbung
Werbung auf Rechtsindex.de