Mit Urteil hat das LG Karlsruhe (Az. 9 O 95/12) entschieden, dass es sich bei einem Reifenplatzer infolge eines größeren, eingefahrenen Fremdkörpers um einen Unfall i.S.v. Ziff. A.2.3.2 AKB und nicht um einen Schaden aufgrund eines Betriebsvorgangs handelt.

Der Sachverhalt

Der Kläger fuhr mit seinem Fahrzeug auf der Autobahn, als plötzlich der hintere rechte Reifen platzte und dabei weiteren Schaden an angrenzenden Karosserieteilen verursachte. Nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten ist die Schadensursache ein durch den Reifen eingedrungener, größerer Fremdkörper (Schraube, Bolzen o.Ä. mit Kopf) mit dem daraus resultierenden Schadensverlauf am bereits vorgeschädigten Reifen. Die festgestellten Vorschäden des Reifens erhöhen zwar laut dem Sachverständigen die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Reifenausfalls, waren im vorliegenden Fall jedoch nur schadensbegünstigend, nicht schadensursächlich. Laut Kostenvoranschlag belaufen sich die Reparaturkosten auf ca. 6.000 EUR netto.

Die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB 2008) Ziff. A.2.3.2 des Klägers besagen:

Versichert sind Unfälle des Fahrzeugs. Als Unfall gilt ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis.

Nicht als Unfallschäden gelten insbesondere Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs oder reine Bruchschäden. Dazu zählen z. B. Schäden am Fahrzeug durch rutschende Ladung oder durch Abnutzung, Verwindungsschäden, Schäden aufgrund Bedienungsfehler oder Überbeanspruchung des Fahrzeugs und Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen.

Deshalb ist der Vollkaskoversicherer des Klägers der Meinung, es handele sich um einen Betriebsschaden im Sinne der AKB. Es liege ein typischer Abnutzungsschaden vor. Der Kläger meint aber, dass es sich hier um einen Unfall im Sinne der AKB, Ziff. A.2.3.2. Wenn sich ein Fremdkörper in die Lauffläche des Reifens bohre, sei dies ein von außen auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, das auch aus Fahrersicht plötzlich und unerwartet gekommen sei.

Die Entscheidung

Aus dem Urteil: [...] Der Reifenplatzer mit entsprechenden weiteren Schäden an den reifennahen Karosserieteilen wurde nach dem Sachverständigengutachten durch einen größeren Fremdkörper verursacht, der sich in den Reifen eingefahren hatte. Die am Reifen vorhandenen Verschleißerscheinungen waren nicht schadensursächlich. Ein Bedienfehler liegt nicht vor; es ist insbesondere nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass der Kläger das Einfahren des Gegenstandes hätte vermeiden können. Die Einfahrstelle befand sich an der Innenseite des Reifens und war für den Kläger nicht zu sehen. Das in das Fahrzeug eingebaute RDKS-System hat einen Druckverlust nicht gemeldet, wohl weil dieser plötzlich erfolgte. [...]

[...] Damit handelt es sich zunächst nicht um einen der Fälle, die in Abs. 2 Satz 2 von Ziff. A.2.3.2 AKB beispielhaft aufgeführt sind. Auch die Definition eines Unfalls in Abs. 1 Satz 2 der Klausel ist im vorliegenden Fall erfüllt. Das unmittelbar und plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkende Ereignis ist hier nicht der Reifenplatzer als solcher, sondern das Einfahren des größeren Fremdkörpers. Wie ausgeführt, steht es der Annahme eines Unfalls i.S. der Versicherungsbedingungen nicht entgegen, dass der eigentliche Schaden (Platzen des Reifens mit Beschädigung der Karosserie) wohl erst nach einem allmählichen Einarbeiten des Fremdkörpers in den Reifen eingetreten ist.

Schließlich musste der eingedrungene größere Fremdkörper auch nicht bauartbedingt schadlos überstanden werden. Bei der gebotenen engen Auslegung der Ausschlussklausel in Ziff. A.2.3.2 Abs. 2 AKB ist hier von der Verwirklichung eines außergewöhnlichen Risikos auszugehen, mit dessen Eintritt der Kläger nicht zu rechnen brauchte. Kleine Fremdkörper wie etwa kleine Steinchen, Rollsplitt oder auch kleine Metallteile bleiben üblicherweise in dem Profil von Reifen hängen, jedoch in aller Regel ohne dort Schaden zu verursachen, jedenfalls solange der Reifen nicht vorgeschädigt ist. Solche kleinen Gegenstände können sich von vornherein nicht bis in das Innere eines im Übrigen intakten Reifens vorarbeiten, weil ihnen die erforderliche Größe/Länge fehlt. Demgegenüber liegen größere Gegenstände schon nicht üblicherweise auf der Fahrbahn, insbesondere nicht so, dass ihnen nicht ausgewichen und ein Unfall auf diese Weise vermieden werden kann. [...]

Gericht:
Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 20.08.2013 - 9 O 95/12

LG Karlsruhe
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