Bei Zusatzbeiträgen muss eine Krankenkasse ausreichend auf das Sonderkündigungsrecht hinweisen. Kleingedruckte Hinweise auf das Sonderkündigungsrecht auf der Rückseite eines Schreibens oder in der Mitgliederzeitschrift hielt das Gericht für nicht ausreichend.

Bis zur Nachholung einer gesetzeskonformen Belehrung besteht keine Pflicht zur Zahlung von Zusatzbeiträgen.

Der Sachverhalt

Die beklagte Krankenkasse teilte den Klägern im Februar 2010 mit, dass ab Februar von allen Mitgliedern ein einkommensunabhängiger Zusatzbeitrag von monatlich 8 Euro erhoben werde. Dieses Schreiben endete auf der ersten Seite „Mit freundlichem Gruß“. Ein Sonderkündigungsrecht fand auf dieser Seite keine Erwähnung. Auf der Rückseite befanden sich zwei Textblöcke. Der erste war überschrieben: „Wir möchten Ihnen die Zahlung des Zusatzbeitrages so einfach und bequem wie möglich machen:“, der zweite: „Weitere allgemeine Hinweise“.

Der zweite Textblock war in deutlich kleinerer Schrift als der Text der Vorderseite und des ersten Textblocks dargestellt. Als sechster Unterpunkt im zweiten Textblock erfolgten Ausführungen unter der Überschrift: „Rechtsgrundlagen (Auszüge)“. Darin fand sich das wortwörtliche Zitat von § 175 Abs 4 Satz 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Kläger legen Widerspruch gegen die Zusatzbeiträge ein

Die Kläger legten gegen die Erhebung von Zusatzbeiträgen Widersprüche ein, die die Beklagte durch Widerspruchsbescheide als unbegründet zurückwies. Daraufhin erhoben die Kläger im Dezember 2010 bzw. Januar 2011 Klage. Sie rügen in beiden Verfahren, dass andere Kassen die Zusatzbeiträge nicht erheben würden. Auch bei der Beklagten wären Zusatzbeiträge nicht erforderlich, wenn sie ordentlich haushalten würde.

Beklagte hält Hinweise als ausreichend

Die Beklagte hält die Hinweise zum Sonderkündigungsrecht auf der Rückseite des Schreibens von Februar 2010 für ausreichend. Man könne von ihr nicht verlangen, klarere Worte zu wählen, als der Gesetzgeber selbst. Sie habe außerdem in der Mitgliederzeitschrift und auf ihrer Internetseite umfassend über das Sonderkündigungsrecht informiert.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht gab den Klägern nach mündlicher Verhandlung teilweise Recht. Sie seien zur Zahlung von Zusatzbeiträgen erst ab dem Zeitpunkt verpflichtet, in dem sie deutlich auf ihr Recht zur Kündigung der Versicherungsverträge hingewiesen worden seien. Ein solcher Hinweis sei erst in den am 24. November bzw. 13. Dezember 2010 erlassenen Widerspruchsbescheiden enthalten gewesen. Es bestehe für die Kläger daher keine Pflicht zur Zahlung von Zusatzbeiträgen zwischen Februar und November bzw. Dezember 2010.

Anforderung an eine ausreichende Aufklärung

Das Informationsschreiben vom Februar 2010 habe keine ausreichende Aufklärung enthalten. Vielmehr sei der Hinweis auf das Sonderkündigungsrecht unter der sachfremden Überschrift „Rechtsgrundlagen“ im Kleingedruckten versteckt gewesen und damit bewusst der Aufmerksamkeit der Empfänger entzogen worden. Der Hinweis müsse jedoch klar, vollständig, verständlich und eindeutig sein. Er müsse durch seine Stellung im Text und die drucktechnische Gestaltung dem durchschnittlichen Empfänger verdeutlichen, dass ihm ein Gestaltungsrecht, nämlich die Möglichkeit zur Kündigung zustehe, er also den Zusatzbeitrag durch einen Kassenwechsel vermeiden könne. Auch der Beitrag in der Mitgliederzeitschrift und die Angaben im Internet seien nicht ausreichend gewesen, um die Pflicht zur individuellen Information jedes Mitglieds zu erfüllen. Es gebe im Übrigen auch keinen Nachweis, ob die Kläger die Zeitschrift überhaupt tatsächlich erhalten hätten.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann von den Beteiligten mit der Berufung zum Landessozialgericht Berlin- Brandenburg in Potsdam angefochten werden.

Rechtsnormen:
Die Vorschrift zum Sonderkündigungsrecht (§ 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V) lautet: „Erhebt die Krankenkasse ab dem 1. Januar 2009 einen Zusatzbeitrag, erhöht sie ihren Zusatzbeitrag oder verringert sie ihre Prämienzahlung, kann die Mitgliedschaft abweichend von Satz 1 bis zur erstmaligen Fälligkeit der Beitragserhebung, der Beitragserhöhung oder der Prämienverringerung gekündigt werden.“

Gericht:
Sozialgericht Berlin, Urteile vom 10. August 2011, S 73 KR 2306/10; S 73 KR 15/11

Quelle: SG Berlin, Rechtsindex
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