Aufgrund bestehender Glatteisbildung verlor eine Autofahrerin die Kontrolle über ihr Fahrzeug, kam von der Fahrbahn ab und überschlug sich.  Der Unfall ereignete sich auf einer wenig befahrenen und außerhalb geschlossener Ortschaften liegende Straße. Der Kläger meint, die Kommune habe ihre Räum- und Streupflicht verletzt.

Der Sachverhalt

Die Ehefrau des Klägers befuhr kurz nach 16:00 Uhr eine wenig befahrene und außerhalb geschlossener Ortschaften liegende Straße, die sich mit einigen Häusern an das allgemeine Straßennetz anschließt. Aufgrund bestehender Glatteisbildung verlor sie die Kontrolle über das Fahrzeug, kam von der Fahrbahn ab und überschlug sich.

Ungefähr ein bis zwei Stunden vor dem Unfall hatte eine Bürgerin beim zuständigen Straßenreinigungsamt der beklagten Stadt angerufen, die Glättebildung auf der Straße gemeldet und um Abhilfe gebeten. Auf der Straße hatte die Beklagte am Unfalltage, auch nach der genannten Meldung, keinen Winterdienst durchgeführt.

Der Kläger hat gemeint, die beklagte Stadt habe mit dem unterlassenen Winterdienst die ihr von Amts wegen obliegende Räum- und Streupflicht verletzt. Er verlangt deswegen ca. 11.300 Euro Reparaturkosten für das beschädigte Fahrzeug.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm

In der Vorinstanz wurde dem Kläger noch Schadensersatz zugesprochen. Auf die Berufung der verurteilten Beklagten hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm (Urteil, Az. 11 U 17/16) die Klage abgewiesen. Die beklagte Stadt habe ihre Amtspflichten nicht verletzt, indem sie am Schadenstage bis zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Winterdienst auf der betroffenen Straße durchgeführt habe.

Grundsätze der winterlichen Räum- und Streupflicht

Inhalt und Umfang der einer Kommune obliegenden winterlichen Räum- und Streupflicht richte sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges seien zu berücksichtigen, ebenso seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Ergebe sich hieraus eine Räum- und Streupflicht, stehe sie bei Kommunen sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, so dass es auch auf ihre Leistungsfähigkeit ankomme. Zudem habe sich jeder Verkehrsteilnehmer gerade im Winter den ihm erkennbar gegebenen Straßenverhältnissen anzupassen.

Ausgehend hiervon sei schon im Bereich geschlossener Ortschaften anerkannt, dass eine Räum- und Streupflicht eine allgemeine Glättebildung voraussetze und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen. In einer derartigen Situation seien zunächst die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen zu bestreuen. Erst danach seien weniger bedeutende Straßen- und Wegestrecken zu sichern. Außerhalb geschlossener Ortslagen seien lediglich die für den Kraftfahrzeugverkehr besonders gefährlichen Stellen zu bestreuen. Auf wenig befahrenen Straßen bestehe deswegen grundsätzlich keine Räum- und Streupflicht, sofern nicht besonders gefährliche Stellen bekannt seien, auf die sich ein Straßenbenutzer nicht einstellen könne.

Keine Pflichtverletzung der beklagten Stadt

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergebe sich im zu entscheidenden Fall keine Räum- und Streupflicht und damit keine Pflichtverletzung der beklagten Stadt.

Die betroffene Straße befinde sich außerhalb geschlossener Ortschaften. Als wenig befahrene Straße, die nur wenige Häuser mit dem Straßennetz verbinde, fehle ihr die Verkehrswichtigkeit. Am Unfalltage habe es zudem lediglich an einzelnen Stellen Glatteisbildung gegeben. Aufgrund der untergeordneten Verkehrsbedeutung habe die Beklagte daher von einem Winterdienst auf der Straße - auch nach der gemeldeten Glatteisbildung - absehen dürfen.

Die Beklagte habe davon ausgehen dürfen, dass sich die Anwohner den winterlichen Verhältnissen anpassen und notfalls Schneeketten anlegen oder vom Befahren der Straße Abstand nehmen und zu Fuß gehen würden. Sehe man das anders, wäre die Beklagte in dem durch zahlreiche Höhenunterschiede geprägten Gemeindegebiet gehalten, eine Vielzahl von Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung abzustreuen. Dieser Aufwand sei ihr nicht zumutbar.

Die Beklagte sei schließlich auch nicht gehalten gewesen, einen Winterdienst in der Weise vorzuhalten, dass dieser von Gemeindeangehörigen durch eine bloße Meldung von Glatteisbildung abgerufen werden könne, ohne dass es auf die genannten Kriterien zur Verkehrsbedeutung der gemeldeten Straße ankomme.

Aufgrund der am Unfalltag erfolgten Meldung habe die Beklagte zudem keine zwingenden Anhaltspunkte dafür gehabt, dass es einem aufmerksamen und vorsichtigen Benutzer der betroffenen Straße nicht mehr möglich sein würde, die Straße ohne Schaden zu nutzen und den Gefahrenstellen auszuweichen. Dass die getroffene Entscheidung der Beklagten vertretbar gewesen sei, werde auch dadurch gestützt, dass es einer anderen Anwohnerin vor und nach dem Unfall gelungen sei, die nicht abgestreute Straße unfallfrei zu befahren.

Gericht:
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 18.11.2016 - 11 U 17/16 (rechtskräftig)

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