Die Mitarbeiterin der Fahrerlaubnisbehörde stellte fest, dass der 85-jährige Antragsteller ein Hörgerät trug und zweifelte an seinem Hörvermögen. Trotz ärztlicher Atteste, dass Beeinträchtigungen im Straßenverkehr nicht zu erwarten seien, wurde ein Gutachten angeordnet und wegen der Nichtbeibringung die Fahrerlaubnis entzogen. Zu Recht?

Der Sachverhalt

Der 85-Jährige Antragsteller beantragte bei der Fahrerlaubnisbehörde die Umstellung seiner Fahrerlaubnis in die neuen Führerscheinklassen, weil die Urkunde aufgrund ihres Alters unansehnlich geworden war. Vorort stellte die Mitarbeiterin der Antragsgegnerin fest, dass der Antragsteller ein Hörgerät trug.

Sie fragte ihn, ob er mit dem Hörgerät gut zurechtkomme, was der Antragsteller bejahte. Die Mitarbeiterin forderte den Antragsteller daraufhin zur Vorlage eines ärztlichen Attestes zu seinem Hörvermögen auf. In der Folgezeit legte dieser ein ärztliches Attest seines HNO-Arztes vor, wonach der Antragsteller aufgrund des Hörgeräts ein altersnormales Hörvermögen erreiche. Beeinträchtigungen im Straßenverkehr seien nicht zu erwarten.

Die Antragsgegnerin verlangte daraufhin eine Ergänzung des Attests dahingehend, dass darin der Hörverlust in Prozent nach der Tabelle von Röser enthalten sein müsse. Der Antragsteller legte ein weiteres Attest seines HNO-Arztes vor, in dem auch der prozentuale Hörverlust anhand der Tabelle nach Bönninghaus und Röser angegeben war.

Aufgrund dieser Tatsachen ordnete die Antragsgegnerin die Beibringung eines Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung an. Da der Antragsteller das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibrachte, entzog die Antragsgegnerin ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Zur Begründung führte sie u.a. aus, der Antragsteller trage ein Hörgerät. Ausweislich des von ihm vorgelegten ohrenärztlichen Attestes liege ein Hörverlust von 56 % des rechten und 100 % des linken Hörvermögens vor. Deshalb bestünden an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen Bedenken, weshalb die Beibringung eines Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung angeordnet worden sei. Da der Antragsteller das Gutachten nicht beigebracht habe, sei von seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen. Folglich sei ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und suchte zugleich um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt

Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers sei offensichtlich rechtswidrig, so das Verwaltungsgericht Neustadt (Beschluss, Az. 3 L 4/16.NW). Die Anordnung der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller, das Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen, sei zu Unrecht erfolgt.

Denn es hätten keine Tatsachen vorgelegen, die klärungsbedürftige Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers aufwerfen. Nach den einschlägigen Vorschriften der Fahrerlaubnisverordnung komme eine Begutachtungsanordnung nur in Betracht, wenn  aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen bestünden. Dies sei hier nicht der Fall gewesen.

Gericht: Es lagen keine tatsächlichen konkreten Anhaltspunkte vor

Selbst eine hochgradige Schwerhörigkeit oder gar Gehörlosigkeit sei kein Mangel, der generell und allein für das Führen von Fahrzeugen ungeeignet mache. Die Orientierung im motorisierten Straßenverkehr erfolge überwiegend über das optische System, da verkehrsrelevante Informationen maßgeblich über visuelle Signale vermittelt würden. Da durch eine vorhandene Hörminderung eine Steigerung anderer sensorischer Leistungen erreicht werden könne, seien hörgeminderte oder gehörlose Fahrer in der Lage, durch besondere Umsicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit sicher am Straßenverkehr teilzunehmen.

Gericht: Allein das Alter sei nicht ausreichend

Dass bei dem Antragsteller neben der bei ihm fachärztlich attestierten Beeinträchtigung der Hörleistung, wegen der er ein Hörgerät trage, gleichzeitig andere schwerwiegende gesundheitliche Mängel vorlägen, sei nicht ersichtlich und auch von der Antragsgegnerin nicht ansatzweise behauptet. Es liege daher nahe, dass die Antragsgegnerin allein auf Grund des Alters des Antragstellers eine weitere Untersuchung angeordnet habe.

Gericht:
Verwaltungsgericht Neustadt, Beschluss vom 28.01.2016 - 3 L 4/16.NW

VG Neustadt, PM 7/16
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