Wer einen Führerschein haben will, darf auf keinem seiner Augen eine Sehschärfe unter 0,1 aufweisen. Und das auch nur unter Berücksichtigung einer besonderen Fahrerfahrung. Steht diese Bestimmung aber nicht im Widerspruch zu dem Grundrecht?

Mit Beschluss vom 5. Juli 2012 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) ein Verfahren ausgesetzt, in dem ein stark fehlsichtiger Mensch (Sehschärfe auf dem einen Auge unter 0,1) eine Fahrerlaubnis für die LKW-Klassen C1 und C1E (3,5 bis 7,5 t) begehrt. Dem EuGH wurde die Frage vorgelegt, ob Bestimmungen der aktuell geltenden europäischen Führerscheinrichtlinie mit der europäischen Grundrechtecharta vereinbar sind.

Wie die telefonische Rechtsberatung der Deutschen Anwaltshotline (www.anwaltshotline.de) berichtet, war ein Lkw-Fahrer bei Bayerns obersten Verwaltungsrichtern vorstellig geworden. Er begehrte einen Führerschein für die Klassen C1 und C1E, mit dem er 3,5 bis 7,5 t schwere Brummer fahren dürfte. Und das, obwohl die Sehschärfe auf einem seiner Augen unter dem Verordnungsgrenzwert von 0,1 liegt.

Allerdings hatten zwei augenärztliche Sachverständige dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof unabhängigen voneinander bestätigt, dass prinzipiell kein medizinischer Anlass bestehe, Menschen mit einer einseitigen Sehschärfe unter 0,1 die Fahrerlaubnis für die gewünschten Lkw-Klassen zu versagen. "Nur drei Voraussetzungen sind dabei zu erfüllen: Der Betroffene muss mit beiden Augen, wenn auch abgeschwächt, sehen können, jedes der Augen muss ein normales Gesichtsfeld haben und der zwar Fehlsichtige muss in der Lage sein, ein nicht vorhandenes räumliches Sehvermögen vollständig zu kompensieren", zitiert Rechtsanwältin Alexandra Wimmer aus den Gutachten. Das ist bei dem Antragsteller der Fall.

Da mit der deutschen Rechtsvorschrift die europäische Führerscheinrichtlinie umgesetzt wird und ein nationales Gericht europäisches Recht nicht verwerfen darf, stellt der BayVGH dem EuGH folgende Frage zur Vereinbarkeit der EU-Führerscheinrichtlinie mit der EUGrundrechtecharta:

"Ist die Nummer 6.4 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 vom 30.12.2006, S. 18) in der Fassung der Richtlinie 2009/113/EG der Kommission vom 25. August 2009 (ABl L 223 vom 26.8.2009, S. 31) insoweit mit Art. 20, Art. 21 Abs. 1 und Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, als diese Vorschrift - ohne die Möglichkeit einer Ausnahme vorzusehen - von Bewerbern um eine Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E auch dann eine Mindestsehschärfe von 0,1 auf dem schlechteren Auge verlangt, wenn diese Personen beidäugig sehen und auf beiden Augen über ein normales Gesichtsfeld verfügen?"

Nach Beantwortung dieser Frage durch den EuGH wird das Berufungsverfahren vor dem BayVGH fortgesetzt werden.

Gericht:
Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 05.07.2012 - 11 BV 11.1764

Quellen: Deutsche Anwaltshotline, BayVGH
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