Das im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention geregelte Diskriminierungsverbot gebietet es nicht, einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten ausländischen Staatsbürger eine vorzeitige Abschiebung in sein Heimatland zu ermöglichen, wenn er im Strafvollzug keine Lockerungen erfahren hat.

Der Sachverhalt

Der Betroffene, ein im Jahre 2002 vom Landgericht Wuppertal wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteiler türkischer Staatsbürger, befindet sich seit über 12 Jahren im geschlossenen Strafvollzug in einer nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt.

Der Betroffene hat beantragt, dass die Staatsanwaltschaft nach § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung absieht, damit er in die Türkei abgeschoben werden kann.

§ 456a StPO erlaubt es, bei ausländischen Straftätern, die bestandskräftig ausreisepflichtig sind, nach einer bestimmten Vollstreckungsdauer von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe abzusehen, um den Betroffenen in sein Heimatland abzuschieben. Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe müssen nach der Erlasslage in Nordrhein-Westfalen mindestens 10 Jahre verbüßt sein, bevor dies überhaupt in Betracht kommt.

Die Staatsanwaltschaft hat den Antrag des Betroffenen abgelehnt und beabsichtigt, nicht vor dem Jahr 2015 zu entscheiden, ob von der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe gem. § 456a StPO abzusehen ist. Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene das Oberlandesgericht Hamm angerufen. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass schon jetzt von der weiteren Vollstreckung abzusehen sei, weil er nicht in den Genuss von Lockerungen wie z.B. einer Ausführung kommen könne. Bei ihm als ausländischem Staatsbürger sei immer Fluchtgefahr anzunehmen, die einen Versagungsgrund für Lockerungen darstelle. Weil einem deutschen Strafgefangenen in vergleichbarer Situation Lockerungen gewährt würden, verstoße seine Behandlung gegen das Diskriminierungsverbot, die durch ein entsprechend frühzeitiges Absehen von der weiteren Vollstreckung kompensiert werden müsse.

Die Entscheidung

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat den Antrag des Betroffenen zurückgewiesen. Die Regelung des § 465a StPO, nach der die Staatsanwaltschaft bei einem Verurteilten, der die Bundesrepublik Deutschland verlassen müsse, von der (weiteren) Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen könne, solle den Staat von der Last der Strafvollstreckung befreien. Sie sei im öffentlichen Interesse aus fiskalischen Erwägungen geschaffen worden. Sie greife bei ausreisepflichten Straftätern, denen gegenüber die weitere Vollstreckung weder zur Resozialisierung noch zur Prävention sinnvoll wäre, weil sie nach ihrer Entlassung die Bundesrepublik Deutschland ohnehin verlassen müssen. Die persönlichen Belange und Verhältnisse eines Verurteilten stünden dabei nicht im Vordergrund, sie seien lediglich neben den Umständen der Tat, der Schwere der Schuld, der bisherigen Vollstreckungsdauer und dem öffentlichen Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigen.

Im zu entscheidenden Fall sei die staatsanwaltschaftliche Entscheidung nicht zu beanstanden. Der hohe Unrechtsgehalt der Tat und die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen rechtfertigten die weitere Strafvollstreckung. Deren Fortsetzung stelle auch keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar. Bei Gefangenen deutscher Staatsangehörigkeit könnten ebenfalls Lockerungen zu versagen sein. Wenn der Betroffene der Ansicht sei, dass ihm Lockerungen zu Unrecht versagt würden, müsse er sich dagegen gerichtlich zur Wehr setzen. § 456a StPO habe nicht die Funktion, Lockerungsverweigerungen zu kompensieren.

Gericht:
Oberlandesgerichts Hamm, Beschluss vom 19.03.2013 - 1 VAs 5/13

OLG Hamm
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