Mit Urteil hat das Sozialgericht Gießen einen Bescheid des Jobcenters Wetterau aufgehoben, mit dem einem Mann Hartz-IV Leistungen für drei Monate um 30%, insgesamt um 290,70 €, gekürzt wurden. Das Jobcenter konnte eine Rechtsfolgenbelehrung nicht nachweisen.

Der Sachverhalt zum Urteil

Der Kläger war vom Jobcenter aufgefordert worden, sich bei einer Firma zu bewerben. Die Firma teilte dann der Behörde mit, eine Bewerbung sei nicht erfolgt. Das Gesetz sieht in einem solchen Fall zwar grundsätzlich eine Kürzung der Regelleistung für drei Monate vor, allerdings muss der Hilfeempfänger bereits in der Aufforderung über diese Rechtsfolge belehrt werden.

Eine solche Belehrung konnte das Jobcenter aber nicht nachweisen, da es aus EDV-technischen Gründen nicht mehr in der Lage war, den Vermittlungsvorschlag zu rekonstruieren. Die Behörde bezog sich insoweit auf ein Muster. Auch der Kläger konnte auf Nachfrage des Gerichts das Original der Belehrung nicht mehr vorlegen.

Das Urteil des Sozialgerichts Gießen

Das Sozialgericht Gießen hob die Kürzung auf. Die Festsetzung von Sanktionen setze nach dem Gesetz voraus, dass ein Hilfebedürftiger über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt worden sei.

Aus dem Urteil: [...] Die Festsetzung von Sanktionen nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB 2 setzt voraus, dass der Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt worden ist (st. Rspr. BSG, Urteil vom 15. Dezember 2010 - B 14 AS 92/09 R, Rn. 24 m.w.N.). Eine Sanktion nach § 31 SGB II stellt einen vom Gesetzgeber bewusst vorgenommenen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, 09. Februar 2010, 1 BvL 1/09, NJW 2010, 505, 508) des Leistungsempfängers dar. Ein solcher Eingriff rechtfertigt sich einerseits nur aufgrund eines schuldhaften Verhaltens des Leistungsempfängers, wie es in den Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 SGB II beschrieben wird. Andererseits stellt ein solcher Grundrechtseingriff erhöhte Anforderungen an die formale Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns. [...]

Soweit das Gericht durch die Behörde nicht in die Lage versetzt werde, die Ordnungsgemäßheit der Rechtsfolgenbelehrung zu prüfen, gehe dies zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Behörde. Ihr obliege es, durch ordnungsgemäße Aktenführung bzw. durch Organisation ihrer Dokumentenverwaltung ihren Nachweiserfordernissen nachzukommen.

Rechtsgrundlagen:
§ 31 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2
§ 21 Abs 1 SGB 10

Themenindex:
Leistungskürzung, Arbeitslosengeld II, Rechtsfolgenbelehrung

Gericht:
Sozialgericht Gießen, Urteil vom 14.01.2013 - S 29 AS 676/11

SG Gießen
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