Bei einem unter Diabetes mellitus Typ I leidenden Kind ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und damit eine Schwerbehinderung nach § 2 Abs. 1 - SGB IX festzustellen, wenn eine instabile Stoffwechsellage gegeben und ein hoher Therapieaufwand erforderlich ist.

Der beklagte Landkreis Zwickau legte gegen das Urteil zunächst Berufung ein, nahm diese aber am 24.4.2012 wieder zurück. Damit ist die Entscheidung des Sozialgerichts rechtskräftig.

Der Sachverhalt

Das Amt für Familie und Soziales Chemnitz hatte beim 2006 geborenen Kläger 2008 einen Grad der Behinderung von 40 festgestellt und ihm das Merkzeichen "H" (Hilflosigkeit) zuerkannt. Man war der Auffassung, dass die körperlichen Einschränkungen und die Hilfebedürftigkeit des Kindes damit zutreffend erfasst seien. Der Therapieaufwand sei bei einem Kind unbeachtlich. Der Betroffene müsse die Therapie selbst im Sinne eines aktiven Tuns durchführen. Dies sei einem Kind im Alter des Klägers nicht möglich. Vielmehr werde der Therapieaufwand von Dritten - hier der Eltern - betrieben.

Wegen der stark schwankenden Blutzuckerwerte und des hohen Betreuungs- und Therapieaufwand hielten die Eltern des aus dem Landkreis Zwickau stammenden Kindes einen GdB von 50 für richtig. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagten sie im Juli 2009 vor dem Sozialgericht Chemnitz, das ihnen Recht gab.

Die Entscheidung

Das Urteil stützt sich auf die im Verfahren hinzugezogenen ärztlichen Unterlagen und medizinischen Dokumentationen. Diese beschreiben eine schlechte Stoffwechsellage, die mit einer Insulinpumpe therapiert wird. Es treten schwere Unterzuckerungen (Hypoglykämien) auf, die schnelle Hilfe erfordern. Der zur Herstellung eines stabilen Blutzuckerwertes und zur Vermeidung von Hypoglykämien notwendige Therapieaufwand ist beträchtlich. Für die Höhe des GdB kommt es nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2009 auch auf den Therapieaufwand an. Damit wird dem Zweck des SGB IX Rechnung getragen, Nachteile des Behinderten bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auszugleichen. Ein hoher Therapieaufwand schränkt die Teilhabe zusätzlich ein. Von wem der Therapieaufwand betrieben wird, ist nicht entscheidend. Zu bewerten sind die Einschnitte in die Lebensführung. So wird das Kind immer wieder aus seinem Tagesablauf herausgerissen. Es darf nur in einem gewissen Umkreis zu seinen Betreuungspersonen spielen. Sein natürlicher Spiel- und Entdeckungsdrang wie auch seine Persönlichkeitsentwicklung und Verselbstständigung werden durch die notwendige engmaschige Überwachung eingeengt.

Landkreis legte Berufung ein

Der Landkreis Zwickau legte im Oktober 2010 gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht ein. Er hielt auch an der Berufung fest, nachdem die Entscheidung des Sozialgerichts Chemnitz in die vom Kommunalen Sozialverband herausgegebenen Anwendungshinweise vom 25.11.2010 zur Beachtung für die Landkreise und kreisfreien Städte im Freistaat Sachsen Aufnahme gefunden hatte.

Landkreis nimmt Berufung zurück


Im laufenden Berufungsverfahren befürwortete die Versorgungsärztin des Beklagten im Juni 2011 die Feststellung eines GdB von 50 beim Kläger. Dieser Meinung schloss sich die Prozessvertretung des Landkreises ebenfalls nicht an, so dass das Landessozialgericht ein Sachverständigen-Gutachten in Auftrag gab. Der Sachverständige, ein Kinderarzt des Dresdener Universitätsklinikums, kam in seinem Gutachten vom 2.4.2012 mit deutlichen Formulierungen zu dem Ergebnis, dass alle Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB von 50 vorlägen. Erst daraufhin nahm der beklagte Landkreis die Berufung zurück. Jetzt sei vertretbar, eine außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellage und damit einen GdB von 50 anzunehmen.

Rechtsgrundlagen:
§ 69 Abs. 1 SGB IX

Gericht:
Sozialgericht Chemnitz, Urteil vom 07.09.2010 - S 34 SB 333/09

SG Chemnitz
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