Ein behinderter Mensch hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis gegen seine Krankenkasse. Weder aus dem Grundgesetz noch aus der UN-Behindertenrechtskonvention lassen sich Ansprüche herleiten. Ein Urteil des Bundessozialgerichts.

Keinen Anspruch auf Potenzmittel

Der Kläger kann wegen der Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis zur Behandlung seiner erektilen Dysfunktion von der beklagten Ersatzkasse weder Kostenerstattung für die Vergangenheit noch künf­tige Naturalleistung beanspruchen. Die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Cialis unterfällt nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). § 34 Abs 1 Satz 7 und 8 SGB V schließen Arzneimittel von der GKV-Versorgung aus, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ins­besondere Arzneimittel, die ‑ wie Cialis ‑ überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion die­nen, zählen dazu.

Keinen Anspruch nach der UN-BRK

Art 25 Satz 3 Buchst b iVm Satz 1 und 2 UN-BRK hebt den gesetzlichen Leistungsausschluss nicht auf. Die Regelung ist in ihrem hier bedeutsamen Teil nicht hinreichend bestimmt, um unmittelbar an­gewendet zu werden; sie bedarf vielmehr einer Ausführungsgesetzgebung.

Weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch Verfassungsrecht verhelfen dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist unmittelbar anwendbares Recht. Er verbietet jede Diskri­minierung aufgrund von Behinderung und garantiert Menschen mit Behinderungen gleichen und wirk­samen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen. Er umfasst alle For­men der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne von Art 2 UN-BRK bedeuten "angemessene Vorkehrungen" notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Dieses Diskriminierungsverbot entspricht für die Leistungsbestimmungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Eine Benachteiligung in diesem Sinne kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird.

Keine unzulässige Diskriminierung behinderter Menschen

Der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 Satz 7 und 8 SGB V verstößt weder gegen das verfas­sungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Er knüpft nicht an eine Behinderung in diesem Sinne an, sondern erfasst weitergehend im Vorfeld alle Fälle der Erkrankung oder Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen. Soweit die Ausschlussregelung zugleich behinderte Menschen trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskata­logs noch gerechtfertigt. GG und UN-BRK fordern zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspiel­raum nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung solche Leistungen aus dem Leistungskatalog ausschließt, die in erster Linie einer Steigerung der Lebensqua­lität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Bereiche han­delt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen auch maßgeb­lich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen können. Schließlich darf der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzlinien ziehen.

Gericht:
Bundessozialgericht, Urteil vom 06.03.2012 - B 1 KR 10/11 R

BSG, PM Nr. 8/12
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