Männlichen Küken werden am ersten Tag ihres Lebens oftmals vergast oder lebend zerschreddert. Verstößt diese gängige Praxis gegen das Tierschutzgesetz, wonach niemand "einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen" darf?

Das Landgericht Münster (Az. 2 KLs 7/15) hat die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Betreiber einer Kükenbrüterei aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Es sei keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung gegeben, so das Landgericht. Somit habe sich der Angeschuldigte wegen des Tötens von männlichen Eintagsküken nicht strafbar gemacht.

Nach § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz (TierSchG) wird zwar grundsätzlich bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet. Zur Überzeugung der Kammer bietet die Vorschrift bei verfassungsgemäßer Auslegung (Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz) allerdings keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung, weil der Gesetzgeber bei ihrem Erlass das Töten von männlichen Eintagsküken nicht unter Strafe habe stellen wollen.

Die Kammer begründet diese Einschätzung u.a. mit der noch im Jahre 2012 erlassenen Tierschutzschlachtverordnung, die zulässige Tötungsformen für Eintagsküken regele, der Auswertung der Tierschutzberichte wechselnder Bundesregierungen und weiterer Gesetzesmaterialien. Eine Änderung der strafrechtlichen Beurteilung für einen über Jahrzehnte praktizierten Sachverhalt bedarf nach der Einschätzung der Kammer einer Entscheidung des Gesetzgebers, die das Landgericht - unbeschadet aller moralisch-ethischen Implikationen - nicht an dessen Stelle treffen könne.

Die Kammer hat die Nichteröffnung des Hauptverfahrens ferner damit begründet, dass ein vernünftiger Grund für die Tötung der Eintagsküken im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG vorgelegen habe. Die durch das Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit des Angeschuldigten gehe dem ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattetem Tierschutz im speziellen Fall vor. Zwar stelle die Tötung männlicher Eintagsküken einen mehrfachen, nicht umkehrbaren und schwerwiegenden Eingriff in den Tierschutz dar. Der Angeschuldigte könne indes vor dem Hintergrund der jahrzehntelang gebilligten Praxis - jedenfalls bis zum Zeitpunkt einer abweichenden Regelung durch den Gesetzgeber - Vertrauensschutz für die Ausübung seines Betriebs beanspruchen.

Gericht:
Landgericht Münster, Beschluss vom 07.03.2016 - 2 KLs 7/15

LG Münster
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