Mit starken Bauchkrämpfen wurde ein Gefangener in ein Krankenhaus verbracht. Der Arzt führte im Beisein von sechs Polizisten Einläufe zur Darmentleerung durch. Obwohl der Gefangene Hand- und Fußfesseln trug, durfte er nicht den Toilettenraum aufsuchen. In Gegenwart der Polizeibeamten musste er seine Notdurft verrichten.

Der Sachverhalt

Der Kläger verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes mit anschließender Sicherheitsverwahrung in einer Justizvollzugsanstalt (JVA). Während der gesamten dreizehnjährigen Haftdauer gab es keine besonderen Vorfälle. Aufgrund plötzlich aufgetretener Schmerzen im Unterleib wurde der Kläger ins Krankenhaus verbracht.

Auf Anweisung der JVA wurden dem Kläger Hand- und Fußfesseln angelegt und zudem ständige und unmittelbare Bewachung angeordnet. Die Fesselung wurde während der ärztlichen Untersuchung und Behandlung beibehalten. Der Arzt verabreichte dem Kläger Einläufe.

Zur Bewachung des Klägers befanden sich mindestens sechs Polizeibeamte in dem Behandlungszimmer, die das Zimmer auch während der Verabreichung der Einläufe nicht verließen und somit Zeuge der für den Kläger unangenehmen Prozedur wurden. Im Anschluss an die Einläufe wurde dem Kläger nicht gestattet, den im Behandlungszimmer befindlichen fensterlosen Toilettenraum aufzusuchen. Es wurde auf Weisung der bewachenden Polizeibeamten ein Toilettenstuhl in das Behandlungszimmer gebracht, auf dem der Kläger in Gegenwart der Polizeibeamten seine Notdurft verrichtete. Auch während dieses Vorgangs blieb die Fesselung an Händen und Füßen bestehen.

Der Kläger begehrt eine angemessene Entschädigung, wegen der Beibehaltung der Hand- und Fußfesseln als Sicherungsmaßnahme anlässlich seiner Behandlung im Krankenhaus. Die Weigerung, dem Kläger die Nutzung des fensterlosen Toilettenraumes zu gestatten, habe ihn in seinen Rechten verletzt.

Das Urteil des Landgerichts Marburg (Az. 7 O 112/11)

Nach Urteil des Landgerichts Marburg (Az. 7 O 112/11) ergibt sich ein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Geldentschädigung sich aus § 839 BGB, Art. 34 GG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

Eine Amtspflichtverletzung ist zu bejahen. Die handelnden Beamten waren gehalten, Verletzungen der Menschenwürde des Klägers so weit als möglich zu vermeiden. Die Weigerung, den fensterlosen Raum zur Verrichtung der Notdurft zu nutzen, war unverhältnismäßig. Mit dem Argument, es drohe Flucht oder Geiselnahme, lässt sich die Weigerung nicht begründen.

Auch das Argument, ein Arzt habe den Kläger und seine Ausscheidungen beobachten müssen, überzeugt nicht. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, dass eine Beobachtung des Klägers sowie des Ausscheidungsvorgangs und -ergebnisses durch einen vor der geöffneten Tür wartenden Arzt unmöglich gewesen wäre.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) in Gestalt der Verletzung der Menschenwürde zu. Eine solche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Anspruch auf eine immaterielle Entschädigung begründen. Der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes gebietet insofern einen Ausgleich in Geld, weil andernfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes des Persönlichkeitsrechts zu befürchten wäre.

Unter Abwägung sämtlicher relevanten Umstände erscheint die Zubilligung einer Entschädigung in Höhe von 2.500 € angemessen aber auch ausreichend, um dem Kläger hinreichende Genugtuung für die erfahrene Verletzung seiner Menschenwürde zu verschaffen.

Gericht:
Landgericht Marburg, Urteil vom 22.09.2015 - 7 O 112/11

LG Marburg
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