Grundsätzlich müssen beide sorgeberechtigten Eltern einem ärztlichen Heileingriff bei ihrem minderjährigen Kind zustimmen. Was ist aber, wenn nur ein Elternteil erscheint, dieser die Gespräche mit den Ärzten führt und den anästhesistischen Aufklärungsbogen allein unterzeichnet?

Der Sachverhalt

Die Klägerin gebar in der 32. Schwangerschaftswoche ein Mädchen mit multiplen Krankheitssymptomen. Zwei Monate später wurde die Tochter auf die kinderchirurgische Klinik des beklagten Krankenhauses verlegt, um eine diagnostisch operative Biopsie durchzuführen.

Bei dem ärztlichen Aufklärungsgespräch war nur die Klägerin anwesend, die auch den anästhesistischen Aufklärungsbogen allein unterzeichnete. Im Rahmen der kurz darauf durchgeführten Operation kam es zu Schwierigkeiten bei der Intubation und Beatmung des Kindes, so dass letztendlich vom operativen Eingriff abgesehen wurde. In der Folgezeit wurde das Kind fast durchgehend in Krankenhäusern behandelt, bevor es im Juli 2011 verstarb.

Behandlungfehler konnten im erstinstanzlichen Verfahren nicht festgestellt werden. Im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm haben die Kläger weiter geltend gemacht, vor dem Eingriff der Beklagten nicht hinreichend über Risiken und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein. Zudem habe der Kläger selbst keine Einwilligung erteilt, obwohl dies zwingend erforderlich gewesen sei. Mit der Klage verlangen die Eltern 500.000 Euro Schmerzensgeld für ihr im Alter von 2 ½ Jahren verstorbenes Kind.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Az. 26 U 1/15)

Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil, Az. 26 U 1/15) konnte keinen die Haftung der Beklagten begründenden Aufklärungsfehler feststellen. Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme habe ergeben, so der Senat, dass die Klägerin vor dem Eingriff hinreichend über die mit der Narkose verbundenen Behandlungsrisiken aufgeklärt worden sei.

Die Einwilligung der Kläger in die Behandlung sei auch nicht deshalb unwirksam gewesen, weil nur die Klägerin am Aufklärungsgespräch teilgenommen und den Aufklärungsbogen unterzeichnet habe. Grundsätzlich müssten beide sorgeberechtigten Eltern einem ärztlichen Heileingriff bei ihrem minderjährigen Kind zustimmen. Erscheine nur ein Elternteil mit dem Kind beim Arzt, dürfe dieser allerdings in von der Rechtsprechung präzisierten Ausnahmefällen darauf vertrauen, dass der abwesende Elternteil den erschienenen Elternteil zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ermächtigt habe.

Ausnahmefall 1

In Routinefällen dürfe der Arzt - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände - davon ausgehen, dass der mit dem Kind bei ihm erscheinende Elternteil die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den anderen Elternteil miterteilen dürfe.

Ausnahmefall 2

Gehe es um ärztliche Eingriffe schwerer Art mit nicht unbedeutenden Risiken, müsse sich der Arzt vergewissern, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen Elternteils habe und wie weit diese reiche. Dabei dürfe er aber - bis zum Vorliegen entgegenstehender Umstände - davon ausgehen, vom erschienenen Elternteil eine wahrheitsgemäße Auskunft zu erhalten.

Ausnahmefall 3

Gehe es um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, etwa um eine Herzoperation, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden seien, liege eine Ermächtigung des abwesenden Elternteils zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff durch den anwesenden Elternteil nicht von vornherein nahe. Deshalb müsse sich der behandelnde Arzt in diesen Fällen darüber vergewissern, dass der abwesende Elternteil mit der Behandlung einverstanden sei.

Die im vorliegenden Fall vorgesehene Biopsie sei in die Kategorie des Ausnahmefalls 2 einzuordnen. Deswegen sei es ausreichend gewesen, dass sich der das Aufklärungsgespräch führende Arzt bei der Klägerin nach der Einwilligung des Klägers erkundigt habe und sich diese durch die Unterschrift der Klägerin auf dem Aufklärungsbogen, der einen entsprechenden Hinweis enthalte, habe bestätigen lassen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig (BGH, VI ZR 622/15).

Gericht:
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 29.09.2015 - 26 U 1/15

OLG Hamm
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