Ein Rechtsanwalt unterschrieb die Berufungsschrift mit zwei nicht miteinander verbundene Linien, von denen die eine senkrecht und die andere waagerecht verlief. Dies sei keine ausreichende Unterschrift, so der Vorsitzende des Berufungsgerichts, der mangels Unterschrift keine ordnungsgemäße Berufung sah.

Der Sachverhalt

Beim Landgericht ist eine Berufungsschrift eingegangen. Der Schriftsatz schließt mit dem maschinenschriftlichen Namenszusatz "(W. )" und darunter "Rechtsanwalt". Unmittelbar über diesem Text befinden sich an der für die Unterschrift vorgesehenen Stelle zwei nicht miteinander verbundene Linien, von denen die eine senkrecht und die andere waagerecht verläuft.

Nach Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, es liege mangels Unterschrift keine ordnungsgemäße Berufung vor, hat die Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil die Berufungsschrift nicht ordnungsgemäß unterzeichnet sei. Der Schriftzug bestehe aus leicht bogenförmigen Strichen, die zueinander nahezu im rechten Winkel gesetzt worden seien. An individuellen Merkmalen fehle es vollständig. Der Klägerin sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da auch dieser Antrag nicht ordnungsgemäß unterzeichnet sei.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (Az. V ZB 203/14)

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem bei dem Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Diesen Anforderungen genügt der Schriftzug des Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter der Berufungsschrift.

Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift verlangt einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug, der individuelle, charakteristische Merkmale, die die Nachahmung erschweren, aufweist, sich ohne lesbar sein zu müssen, als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist.

Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt. Dabei ist in Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein- und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2015 - VI ZB 71/14, juris Rn. 7 f.; Senat, Beschluss vom 22. Januar 2009 - V ZB 165/08, juris Rn. 3).

Diesen Anforderungen genügt der Schriftzug des Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter der Berufungsschrift. Dies hat der Senat ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2015 - VI ZB 71/14, juris Rn. 10 mwN). An der Urheberschaft von Rechtsanwalt W. gibt es keinen Zweifel. Sie ergibt sich aus dem unter dem Schriftzug befindlichen maschinenschriftlichen Zusatz. Dem Schriftzug fehlt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht an der erforderlichen Individualität und der erkennbaren Absicht einer vollen Unterschriftsleistung.

Gericht:
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.07.2015 - V ZB 203/14

BGH
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