Ein Sachmangel kann auch vorliegen, wenn zwar der Einsatz einer gesundheitsgefährdenden Substanz in der Produktion weit verbreitet ist, ihr Gehalt jedoch ein Vielfaches über den üblicherweise gemessenen Werten liegt, so das Urteil (27 O 324/13) des LG Stuttgart.

Der Sachverhalt 

Die Klägerin kaufte in einem Möbelhaus eine Ledercouchgarnitur. Die Freude über das neue Möbelstück wehrte nicht lange, denn die Couch hatte einen unangenehmen Geruch. Die Couch wurde zwar ausgetauscht, aber der Geruch blieb.

Die Ausdünstungen führten zu Kopfschmerzen, tränenden und entzündeten Augen. Die Klägerin verlangt vom Möbelhaus die Rückabwicklung des Möbelkaufs.

Die Entscheidung 

Die gelieferte Ledercouchgarnitur enthält zu viel Ameisensäure und löst dadurch Gesundheitsgefahren aus. Dies stellt einen Sachmangel im Sinne von § 434 Absatz 1 Nr. 2 BGB dar.

Die Leitsätze des LG Stuttgart (Urteil, Az. 568 C 7542/11) 

1. Ein Sachmangel kann vorliegen, wenn von der Kaufsache eine Gesundheitsgefahr ausgeht, mit der der Käufer im Allgemeinen nicht rechnen muss.

2. Ein Sachmangel kann auch vorliegen, wenn zwar der Einsatz einer gesundheitsgefährdenden Substanz in der Produktion weit verbreitet ist, ihr Gehalt jedoch ein Vielfaches über den üblicherweise gemessenen Werten liegt und daraus die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass die Kaufsache nicht dem Stand der Technik entsprechend unter schonendem Einsatz des Gefahrenstoffes hergestellt wurde (hier: hoher Gehalt von Ameisensäure in einer Ledercouch).

Der Sachverständige hat festgestellt, dass die entnommene Lederprobe Ameisensäure mit einem Emissionswert von 81 µg/g enthält. Die Dämpfe von Ameisensäure können als geruchsstörend empfunden werden und bei empfindlichen Personen eine reizende Wirkung auf Augen, Atemwege und Haut haben (vgl. die Eintragung in der GESTIS-Stoffdatenbank des Instituts für Arbeitsschutz in der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung).

Es gibt allerdings keine Grenzwerte für Ameisensäure in Lederprodukten. Die Richtlinie 2006/15/EG vom 07.02.2006 gibt lediglich Vorgaben für die Konzentration von Arbeitsstoffen in der Raumluft von Arbeitsstätten (Artikel 1 der genannten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie 98/24/EG).

Auch das Deutsche Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung macht in den auf ihrer Internetseite veröffentlichten Güte- und Prüfbestimmungen für Möbel des Jahres 2013 (RAL-GZ 430) keine Vorgaben an das Ledermaterial in Bezug auf Ameisensäure (vgl. Ziffern 3 und 3.5 der Bestimmungen).

Fehlen einer gesetzlichen Regelung oder Verbandsempfehlung

Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung oder Verbandsempfehlung schließt die Beurteilung als Sachmangel indes nicht aus. Maßgebend ist bei Anwendung von § 434 Absatz 1 Nr. 2 Alternative 2 BGB vielmehr, ob die Eigenschaften bei Sachen der gleichen Art - also anderen Ledersofas - üblich sind. Dieser Beurteilungsmaßstab schließt überzogene Qualitätsanforderungen ebenso aus wie ein unter dem Durchschnitt liegendes Qualitätsniveau (OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. Juni 2007 - 9 U 239/06). Abzustellen ist auf den Erwartungshorizont eines Durchschnittskäufers (Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, Bundestagsdrucksache 14/6040, Seite 214). Gütebestimmungen wie die RAL-GZ 430 geben hierüber keine abschließende Auskunft. Maßgebend ist vielmehr, ob die Kaufsache dem Stand der Technik entspricht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 08. Juni 2005 - I-3 U 12/04, 3 U 12/04).

Erfahrungswert des Sachverständigen

Der Einsatz von Ameisensäure entspricht zwar den weit verbreiteten Verarbeitungsprozessen bei Lederwaren. Im vorliegenden Fall sind die üblichen Werte um ein Vielfaches überschritten. Die Ergebnisse einer Thermodesorptionsanalyse von Leder sind in der Regel einstellig, betragen normalerweise aber höchstens 20 µg/g. Der Sachverständige selbst führt indes rund 150 Analysen pro Jahr durch. Dies ist eine ausreichende Grundlage für einen Erfahrungssatz und die Schlussfolgerung, dass der vorliegend gemessene Gehalt von 81 µg/g weit über den üblichen Werten liegt.

Rechtsgrundlagen:
BGB § 434 Abs. 1, § 437 Nr. 2

Gericht:
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 15.12.2014 - 27 O 324/13

LG Stuttgart
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