Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm klärt in seinen Urteilen, in welchem Umfang ehemals in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte nach konventionswidriger, weil überlang vollzogener Sicherungsverwahrung vom Land Nordrhein-Westfalen zu entschädigen sind.

Hintergrund

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist die nachträglich über die Dauer von 10 Jahren hinaus verlängerte Sicherungsverwahrung oder die nachträglich erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung in den Fällen keine rechtmäßige Freiheitsentziehung, in denen es bei der Begehung der Straftaten noch keine gesetzliche Grundlage für die nachträgliche Verlängerung oder nachträgliche erstmalige Anordnung der Sicherungsverwahrung gab. In diesen Fällen verstößt die Freiheitsentziehung gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) normierte Freiheitsgrundrecht und verpflichtet den Staat zur Entschädigung.

Der Sachverhalt

Im ersten Fall (Az. 11 U 80/13) befand sich der heute 70 Jahre alte Kläger in der Zeit von Ende Mai 2006 bis Ende Februar 2011 für die Dauer von 57 1/3 Monaten zu Unrecht in der Sicherungsverwahrung.

Im zweiten Fall (Az. 11 U 16/14) befand sich der heute 51 Jahre alte Kläger in der Zeit von Ende Mai 2003 bis Ende Juni 2008 für die Dauer von 61 Monaten zu Unrecht in der Sicherungsverwahrung.

Die Entscheidung

Die unrechtmäßige Sicherungsverwahrung sei bei beiden Klägern, so der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm, mit einem Betrag von 500 Euro pro Monat zu entschädigen. Diese Höhe entspreche der Entschädigungspraxis des EGMR in vergleichbaren Fällen. Auf die von den Klägern beanspruchte Höhe von 25 Euro pro Tag, die sich aus der Regelung § 7 Strafrechtsentschädigungsgesetz ergebe, sei nicht abzustellen. Das deutsche Strafrechtsentschädigungsgesetz beinhalte eine spezielle Regelung für zu Unrecht Inhaftierte, die auf die bereits anderweitig in Art. 5 EMRK geregelte Entschädigung von Fällen konventionswidriger Sicherungsverwahrung nicht anzuwenden sei.

Es sei auch sachlich nicht geboten, Geschädigte, die sich zu Unrecht in Strafhaft befunden hätten, mit Geschädigten, die sich zu Unrecht in Sicherungsverwahrung befanden, gleich zu behandeln. Geschädigte, die sich zu Unrecht in Strafhaft befunden hätten, seien häufig zu Unrecht inhaftiert worden. Hierdurch würden sie in der Regel nicht unerheblich stigmatisiert und nicht selten reiße sie die Inhaftierung aus einem intakten sozialen Umfeld heraus. Dem solle der im Strafrechtsentschädigungsgesetz geregelte Entschädigungsbetrag von 25 Euro pro Tag Rechnung tragen. Auf Sicherungsverwahrte, deren Sicherungsverwahrung konventionswidrig zu lang vollstreckt worden sei, träfen diese Umstände nicht zu, weil sie sich in der Regel vor der konventionswidrigen Sicherungsverwahrung seit Jahren zu Recht in der Strafhaft und/oder in der Sicherungsverwahrung befunden hätten. Ihre Stigmatisierung gerade durch den weiteren, unrechtmäßigen Vollzug der Sicherungsverwahrung sei eher gering.

Entschädigungssummen

Im zweiten Fall (Az. 11 U 16/14) stehe dem Kläger für 61 Monate eine Entschädigung von 30.500 Euro zu.

Im ersten Fall (Az. 11 U 80/13) ergebe sich für die 57 1/3 Monate ein Entschädigungsbetrag von 28.665 Euro. Dieser sei allerdings um 12.000 Euro zu ermäßigen, weil der Kläger diesen Betrag bereits mit einem - aus Anlass seiner unrechtmäßigen Sicherungsverwahrung - gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem EGMR geführten Individualbeschwerdeverfahren erstritten und erhalten habe. Der von der Bundesrepublik gezahlte Betrag sei anzurechnen, weil auch er den Kläger für die konventionswidrig erlittene Sicherungsverwahrung entschädige. Die nach Art. 5 EMRK zu berechnende Entschädigung solle das erlittene Unrecht vollständig ausgleichen und stelle daher auch eine Obergrenze für staatliche Entschädigungsleistungen dar.

Gericht:
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 14.11.2014 - 11 U 80/13 und 11 U 16/14

OLG Hamm, PM
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